Land, Landschaft, Landwirtschaft

Wir leben in Landschaften, mehr oder minder bewusst. Sie prägen unsere Kultur mit, wir das Kulturland. Und auch der Umbau der Landwirtschaft zur Agrarindustrie ist ein weites Feld… Bücher, die zumindest indirekt für grünes Abstimmen werben.

 

von Hans Steiger

 

«Zürcher Landschaften» ist primär ein Bildband, als Werbeschrift für die Abstimmung vom 27. November zu dick und zu teuer. Zudem führen nur wenige Fotos jenes siedlungsnahe Kulturland vor, um dessen Sicherung es bei der Revision unseres kantonalen Planungs- und Baugesetzes vor allem geht. Präsentiert werden eher Perlen in der Peripherie. Und die zeigen einen vielen «weitgehend unbekannten Kanton Zürich, der weder zugebaut noch zersiedelt ist, seine Natur und Landschaft.» Es tut gut, dieses Buch durchzublättern, von den «voralpin geprägten» Hügeln über die Seen- und Flusslandschaften, Auen und Moore, wilden Wälder bis hin zu städtischen Parkanlagen. Ja, auch der weite Blick vom Üetliberg, den ein Panoramabild mit zwei Ausklappseiten ermöglicht, ist schön. Nachts, mit Lichtermeer bis zum irgendwo bei Rapperswil dunkelnden Horizont.
Indirekt illustriert dies die in den Text eingestreute Anekdote vom Amerikaner auf Europatour, der beim Aufenthalt in Zürich gesagt haben soll, er hätte gar nicht gewusst, dass diese Stadt «rund um einen See herum gebaut sei.» Ob die vom kantonalen Lotteriefonds gesponserte Publikation für Seinesgleichen gedacht ist? Dass ihre Texte ins Englische übertragen wurden, verwundert ein wenig, stört aber nicht.

 

Nicht nur Juwelen schützen

Umgekehrt wird festgestellt, selbst vielen Einheimischen sei wohl kaum bewusst, dass Zürich nebst einer weltbekannten City «der viertgrösste Agrarkanton unseres Landes ist.» Womit wir beim ersten Bild wären, das eine weidende Kuh zwischen Baugerüsten zeigt. Daneben vermerkt die Legende: «Am 17. Juni 2012 hat das Stimmvolk eine kantonale Initiative angenommen, die einen strengen Schutz des landwirtschaftlichen Kulturlandes verlangt.» Auch im einleitenden Text von Hans Weiss wirkt dieser «zur Überraschung der bürgerlichen Parteien und der politischen Behörden» gefällte Entscheid zentral. Er lasse hoffen, dass es dem in Naturschutzfragen eigentlich seit längerem vorbildlichen Kanton trotz wachsendem Druck gelingen könnte, «die Verdichtung von bestehenden Wohnbauten und Siedlungen mit einer ökologischen Aufwertung zu verbinden.» In diesen Siedlungen, in den Agrarlandschaften, ja überall wäre wieder «mehr Natur» zu schaffen oder zuzulassen, damit «die verbliebenen Juwelen» nicht Relikte bleiben.

Der seit Jahrzehnten mit diesem Themenkomplex befasste Autor macht deutlich, was «ökonomische Einäugigkeit» bewirkt. Sie hat die früher Kulturland schaffende Landwirtschaft in «eine weitere und vielleicht die grösste Ursache des Schwundes an naturnahen Lebensräumen und ihrer Artenvielfalt» verwandelt. Doch die Schuld wird nicht einzelnen Beteiligten zugeschoben: «Wer Bauer bleiben und eine Familie ernähren wollte, musste entweder alles auf eine Steigerung des Ertrags und eine Senkung der Kosten setzen oder aufgeben.» Um den massiven, sich gar noch beschleunigenden Landschaftsverlust zu stoppen, müsste die ganze Gesellschaft andere Akzente setzen. «Ob der Kanton Zürich diese Spannung zwischen grossstädtischer Urbanität und Natur, zwischen Agglomeration und ländlichem Raum auffangen und gestalten kann oder ob sich mit der Zeit alles im Einerlei eines heranwachsenden Weltdorfes auflöst, ist ungewiss.»

Landschaft zu schützen setzt ein Gefühl für Landschaft voraus. Weiss versucht, diesen ziemlich offenen Begriff zu definieren, ihn mit Raum- und Zeitbezügen zu versehen, die Bedeutung von Umgebungen für unser Leben anzudeuten. Wären sie nicht so belastet, wären da vielleicht Worte wie «Heimat» und «Heimatschutz» passend. Diese würden «zu Unrecht mit einer nationalistischen, «musealen und nur rückwärtsgewandten Einstellung gleichgesetzt.» Es geht darum, die Natur praktisch vor der Haustür intensiv erfahren zu können. Was, «wenn wir dereinst nur noch in künstlichen Systemen lebten», von Robotern versorgt und gelenkt? Weiss scheint es klar, «auf die gewachsene Landschaft im oben beschriebenen Sinn wollen wir nicht verzichten, umso weniger, je stärker unser Alltag von der modernen Technik bestimmt ist.» Auf der letzten Seite ist das Buchteam abgebildet. Vier ältere Männer wie ich. Ob das in Wort und Bild vorgelegte Plädoyer für einen sorgsameren Umgang mit unserem Umland auch Jüngere überzeugt?

 

Plastikkühe als Naturkarikatur

«Geschichte und Landschaft in der Schweiz» ist geographisch umfassender, gründlicher, dafür gelegentlich etwas langweiliger, von Fachleuten mit wissenschaftlichem Anspruch erarbeitet. Was bei Weiss zwei, drei Seiten einnimmt, die in den Eiszeiten von Gletschern geformte, in frühen Phasen der Besiedelung weitgehend vom Wald geprägte historische Landschaft, wird im ersten Teil beschrieben. Im zweiten der «Landesausbau in Mittelalter und Neuzeit.» Doch ab Seite 137 kommt die Moderne in den Blick, die im Vergleich mit den Agrargesellschaften rasend schnelle Urbanisierung. Sie schuf im 19. Jahrhundert völlig neue Strukturen. Industrie- sowie Verkehrslandschaften wuchsen und wucherten, andere Zentren entstanden. Basel und Genf, einst die grössten Städte des Landes, fielen zurück. Zürich machte 1893 und 1934 mit seinen Eingemeindungen zwei Sprünge nach vorn, und Winterthur erreichte dank der Produktion von Maschinen eine Sonderposition, «verfolgte aber – durchaus mit Erfolg – das Ziel, eine Stadtlandschaft zu schaffen, in der Industrie und Natur nicht im Widerspruch stehen, sondern vereint werden können.» Wie eine Karikatur solchen Bemühens wirkte dagegen der 1998 von der City-Vereinigung in Zürich unternommene Versuch, sich aus touristischen Gründen mit bunt bemalten Plastikkühen «einen hirtenländischen Anstrich» zu geben.
Zürcherinnen und Zürcher finden im Buch aber auch etliche ernsthaftere Passagen, die sie betreffen. So wird an Pierre Zbinden erinnert, der sich als städtischer Garteninspektor schon 1959 für ein «Zurück zur Natur» mit neuen Vorzeichen engagierte. 1963 habe ein zur nationalen Gartenbauausstellung neu gestalteter Seeuferweg «ein völlig neues, für die Stadt einzigartiges Naturerlebnis» erlaubt. «Hier geht man allein oder zu zweit, bewegt sich vorsichtig von Steinplatte zu Steinplatte, hält ein, lässt sich eine Weile auf einer Bank oder einem Steinbrocken nieder, immer begleitet von der Bewegung des Wassers und der Bäume», rühmte noch Jahrzehnte später eine Publikation diesen «Spazierlandschaft der Moderne.»

Und im Schlussteil, der von «Landschaft zwischen Agglomeration und Wildnis» handelt, kommt auch hier die 2012 kantonal angenommene Kulturlandinitiative zu Ehren. Diese wolle nicht nur «wertvolle Landwirtschaftsflächen», sondern darüber hinaus Gebiete «von besonderer ökologischer Bedeutung» vor Überbauung schützen. National wurde ein ähnliches Begehren zugunsten eines Gegenvorschlags des Bundes zurückgezogen, der zu «massgeblichen Verbesserungen im Raumplanungsgesetz» führte. Damit dies auch auf kantonaler Ebene geschieht, benötigen wir nun halt, weil die Parlamentsmehrheit eine Umsetzung des Volksbegehrens blockierte, ein weiteres Ja.

 

Was wir sonst tun können

«Natur schaffen.» Im dritten, besonders anregenden Buch wird sowohl politisch wie höchst praktisch argumentiert. Zuerst werden elf Menschen vorgestellt, für die «Biodiversität» kein Fremdwort, sondern ein persönliches Herzensanliegen ist. Erfrischend – nicht nur für alle, die sie kennen – der Besuch bei Beatrix Mühlethaler, in deren Garten die kleine Tour de Suisse unweit von Zürich beginnt. «Kreatives Jäten» ist die Chiffre für ihr Bestreben, einen eigenen Beitrag zu dem zu leisten, was sie als Journalistin propagiert. Und dieses Tun ist offensichtlich lustvoll. Gegen die Überforderung hilft eine etwas hart klingende Devise: «Wenn Arten eine intensive Pflege benötigen, sind sie nicht standortgerecht und haben im Naturgarten nichts verloren.»
In einer Arbeitsgruppe werden Erfahrungen mit anderen in der Umgebung geteilt. Es sei spannend zu sehen, wie verschieden die Leute naturnahes Gärtnern verstehen. Um die «Macht des Gemeinderates» Thomas Baumann geht es in der zweiten Reportage. Imposant, was der von einem ‹Wahlbündnis Zukunft Suhr› nominierte Naturfreund, «gelernter Landwirt und Agronom ETH», bereits in kurzer Zeit erreichte. Dank dem Natur- und Heimatschutzgesetz des Bundes sei vieles möglich, werde jedoch «im Siedlungsraum fast nie vollzogen.» Hier hat sich einer mit Sachkompetenz und Willen dahinter gemacht. Selbst «zwischen den fensterlosen Schluchten der hoch aufragenden Verteilzen­tren von Migros und C&A ist ein wahres Kleinod entstanden.» Sieht auf dem doppelseitigen Foto nach Badestrand aus. Es folgen ein initiativer Schulhausabwart, ein speziell sorgsamer Förster. Oder eben der Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Rothenfluh-Anwil, der sich vorab als «Gärtner des Kulturlandes» sieht. «Stellt man Bruno Erny ein Stück Land zur Verfügung, kreiert er daraus einen Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen.» Noch vor zwanzig Jahren wurden seine Vorschläge «zur Möblierung der Landschaft» mit einem Kopfschütteln quittiert. Nun suchen etliche Bauern und sogar Bauunternehmen seine Unterstützung. Natürlich habe das im einen Fall oft mit den neuen Ökozahlungen zu tun, im anderen vielleicht mit der Hoffnung, gerade anfallenden Schutt kostengünstig loszuwerden. Warum nicht, wenn’s passt? «Das Material bleibt in der Region und sorgt für Leben.»

Im zweiten Teil werden 111 Tipps geliefert, wie jede und jeder im Kleinen oder Grösseren etwas für mehr Natur in nächster Umgebung, aber auch bis ins Globale hinein bewirken könnte. Grob gegliedert wird der Ratgeber durch Bereiche wie Gebäude, Arbeit, Freizeit oder Konsum. «Grundbesitzer» ist das letzte Stichwort dieser Liste, aber Gemeindeland besitzen alle mit, einige könnten in Kirchgemeinden mitreden. Warum zum Beispiel in den Friedhöfen nicht für «Ruhe in Vielfalt» sorgen? «Leben im Kirchturm» ist auch ein hübscher Zwischentitel.
Schon was ich bezüglich Garten an Möglichkeiten sah, gäbe für Jahre zu tun. Fast immer gibt es Hinweise, wo für was zusätzliche Informationen und Unterstützung zu finden wären. Auffallend häufig werden Merkblätter von ‹Grün Stadt Zürich› als für privates Tun hilfreich angegeben.

 

Ruf nach politischem Rückhalt

Generell ist anzumerken: Die vorgestellten Bücher wurden durchwegs von Bundesämtern, Forschungsanstalten und anderen offiziellen oder offiziösen Stellen gefördert. In allen sind mehr oder weniger direkte Aufrufe zu finden, auch politisch für nachhaltige Veränderungen unserer Umwelt zu kämpfen. Geht es zu weit, dies als Hilferuf einsichtiger Verantwortlicher zu verstehen, denen es an Macht zum Handeln fehlt? Noch einmal Hans Weiss, der sich ein gutes halbes Leben lang in vielerlei Funktionen um wirksamen Naturschutz bemühte. Wenn er in «Zürcher Landschaften» an Friedrich Hölderlin erinnert, tut er dies verzweifelt hoffnungsvoll: «Wo die Not ist, wächst auch das Rettende.» Er verweist auf die verspätete Pionierrolle, die der Kanton Zürich bei der Wiederbelebung der Fliessgewässer übernahm. Erst als die katastrophalen Folgen eines lange ungezügelten Landhungers und einseitigen Nützlichkeitsdenkens offensichtlich wurden, aber doch nicht zu spät. Zuversicht auch im «Ausblick», den der Landschaft-Schweiz-Reader bezüglich «Wissenschaft, Politik, Planung» liefert. «In der Bevölkerung wie unter Fachleuten zeichnet sich ein neues Bewusstsein ab, Landschaft auch aktiv zu gestalten, um deren vielfältige Leistungen für die Gesellschaft zu gewährleisten.» Schon mehrmals habe «der Souverän bei Urnengängen zum Ausdruck gebracht, dass ihm die Zukunft der Landschaft nicht gleichgültig» sei und «dass er gewillt ist, den vielen problematischen Entwicklungen Einhalt zu gebieten.»

 

Zürcher Landschaften. Natur- und Kulturlandschaften des Kantons Zürich. Hrsg. von Heinz von Arx. Fotos: André Roth & Marc Schmid. Texte: Hans Weiss, Bernhard Nievergelt, deutsch/englisch. AS Verlag, Zürich 2016, 268 Seiten im Grossformat mit 153 farbigen Abbildungen, 58 Franken.

 

Geschichte der Landschaft in der Schweiz. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. Hrsg. von Jon Mathieu u.a. Orell Füssli Verlag, Zürich 2016, 379 Seiten, illustriert, 50 Franken.

 

Gregor Klaus / Nicolas Gattlen: Natur schaffen. Ein praktischer Ratgeber zur Förderung der Biodiversität in der Schweiz. Haupt Verlag, Bern 2016, 304 Seiten, illustriert, 40 Franken.

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