«Kulturelle Selbstbehauptung»

In Thalwil beginnen heute die 12. Kulturtage – ein zweiwöchiges Kulturfestival mit Produktionen von Kulturschaffenden und Laienkünstlern. Im Gespräch mit Arthur Schäppi sagt der Thalwiler Kulturbeauftragte und Gesamtleiter Simon Niederhauser, warum das Motto «Paradiese» nur vordergründig harmlos scheint und weshalb sich ein Besuch auch für Auswärtige lohnt.
 
 
Simon Niederhauser, gut 40 Projekte und fast 60 Einzelvorstellungen sind an den 12. Thalwiler Kulturtagen unter dem Motto «Paradiese» angesagt. Was darf man denn als BesucherIn diesmal an dem alle zwei Jahre stattfindenden Anlass erwarten?
Sicher ein vielfältiges Kulturspektakel, das sich diesmal vor allem in und um das historische Pfistergut im Ortszentrum abspielt. Und die Angebotspalette ist riesig. Auf dem Programm stehen etwa Chor-, Pop-, Jazz- und auch zwei Orchesterkonzerte. Das Ortsmuseum wird zum Kunsthaus. Dort zeigen sieben Thalwiler KünstlerInnen ihre Werke. Auf der Feuertreppe der Pfisterschüür wird die vom Theater Thalwil eigens für die Kulturtage ins­zenierte Aufführung «Balkonien» zu sehen sein. Aber etwa auch ein Musikkabarett und zwei Tanzperformances sind angesagt. Und dazu eine ganze Reihe weiterer vielversprechender Events.
 
 
Das tönt doch irgendwie auch ein bisschen nach einem Je-ka-mi-Anlass?
Wir streben tatsächlich eine möglichst breite Beteiligung von Seiten der Akteure an und wollen bewusst ein breites Publikum ansprechen. Das ist kein Makel, sondern Programm. Das Einzigartige an unseren Kulturtagen ist eben gerade dieser gelebte Brückenschlag zwischen professionellem Kulturschaffen und sogenannter Laienkultur. Es wird spannend sein zu sehen, wie ganz unterschiedlich etwa ein Laienchor, eine Profi-Tänzerin oder bildende Künstler mit dem Thema «Paradiese» umgehen.
 
 
Wie kamen die Veranstalter gerade auf dieses Motto?
Manche mögen mit «Paradiese» Begriffe wie Schlaraffenland oder Harmonie assoziieren. Wer sich mit dem Thema auseinandersetzt, realisiert indes schnell einmal, dass dieses Motto gar nicht so harmlos ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Paradiese sind nicht zuletzt exklusive Gebilde – und das durchaus im Wortsinn. Sie schliessen also auch aus. So gesehen hat das Motto eine brisante gesellschaftspolitische Komponente.
 
 
Wo wird das im Programm spürbar?
Zum Beispiel in der von auswärtigen Ausstellungsmachern konzipierten Wanderausstellung «ZürcherInnen machen», die erstmals während der Kulturtage im Museum von Thalwil gezeigt wird. Die Ausstellung mit interaktiven Stationen und Podiumsdiskussion basiert auf 40 Interviews und dreht sich um das Thema Zugehörigkeit. Also etwa um die Frage, wann gilt und fühlt man sich als Auswärtiger oder Zuzüger, wann als ZürcherIn, und wann wird man auch so wahrgenommen?
 
 
Welche Bedeutung haben die Kulturtage für Thalwil?
Sie sind mit ihrer über 20jährigen Tradition längst ein fester Bestandteil des Dorflebens und zweifelsohne ein Stück Thalwiler Identität. Wir haben ein überaus reges Kulturleben, auch ausserhalb der Kulturtage. An den Kulturtagen zeigt es sich in all seinen Facetten gewissermassen im Schaufenster. Vor und hinter den Kulissen engagieren sich um die 450 Leute. Mit den Kulturtagen bringen wir auch zum Ausdruck, dass wir willens und fähig sind, dem kulturellen Angebot der nahen Stadt Zürich etwas Eigenständiges entgegen zu setzen. Es geht also auch um kulturelle Selbstbehauptung.
 
 
Häufig ist es aber doch so, dass ThalwilerInnen für den Konzert-, Theater- oder Ausstellungsbesuch ins nahe Zürich in die Tonhalle, ins Kanzlei, das Kunsthaus oder etwa in die Rote Fa­brik fahren.
Das ist auch wunderbar so. Wir können und wollen uns gar nicht mit der Kulturmetropole Zürich messen. Aber selbstverständlich sind an unseren Kulturtagen auch Stadtzürcher und andere auswärtige Kulturinteressierte willkommen.
 
 
Was könnte denn Stadtzürcher dazu bewegen, zum Kulturgenuss in den Vorort Thalwil zu pilgern?
Zum Beispiel am 16. Juni das Barockkonzert «La paix du parnasse» vom Ensemble Danguy, das qualitativ mit städtischen Angeboten absolut mithalten kann. Oder am 15.- 17. Juni auf dem Friedhof die speziell für diesen Ort konzipierte professionelle Tanz-Inszenierung «Practice Paradise». Und nicht zuletzt der dörfliche Charme einer überschaubaren Kulturszene und die besondere Atmosphäre auf dem historischen Pfistergut mit Panoramablick und Kulturtage-Bistro, welche die Kulturtage mitprägen.
 
 
Wer finanziert die Kulturtage?
Wir haben ein Budget von rund 160 000 Franken. Davon übernimmt die Gemeinde die Hälfte und die kantonale Kulturförderung ein Viertel. Der Rest wird von Stiftungen und Sponsoren gedeckt. Nicht in diesem Betrag enthalten sind die finanziellen Eigenleistungen der einzelnen Projekte sowie Tausende von Stunden Freiwilligenarbeit.
 
 
Weitere Infos: www.thalwil.ch/kulturtage

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