Knackpunkt Ausgewogenheit zwischen Einfällen und Spieldauer

Die aktuellen Abschlussarbeiten des Studiengangs Film ZHdK haben wieder einsame Überflieger zutage gefördert: «Scherbenmosaik» von Jonathan Hug ist schlicht rundum geglückt und «Fomo» von Noah van Dok ist gleichermassen cinematographisch wie atmosphärisch toll.

 

 

Unter den dreizehn vollständig projizierten Filmen an den öffentlichen Screenings im Kino Toni finden sich auch zwei von Masterabsolvierenden, die mit je einer halben Stunde Spieldauer nicht für eine ausserschulische Co-Produktion, also eine kommerzielle Auswertung angelegt sind. Die bereits 2017 als mögliche Tendenz festgestellte Auflösung der klaren Differenzierbarkeit zwischen Master- und Bachelorfilmen lässt sich anhand dieses Jahrgangs bestätigen. Die beiden herausragenden Werke sind Bachelorarbeiten und im Gegensatz zum letzten Jahr wieder von Männern realisiert.

 

Jonathan Hug glückt mit «Scherbenmosaik» eine richtiggehende Seltenheit. Ein fiktionaler Kurzfilm mit einem dramaturgisch wie inhaltlich pointierten Drehbuch, oder anders: Der Film ist komplett fertiggedacht, das Handeln und die Figuren selber werden für ein Publikum (soweit möglich) nachvollziehbar, der Rhythmus der Bilder wie vom Erzählfluss stimmt, als auch die Optik (Kamera: Nino Michel, Szenenbild: Susanna Köberl) eine gekonnt vom Resultat her gedachte Wirkung entfaltet. Vor dem symbolischen Schlussbild eines Türspions entfalten sich zwei Seiten einer Paarbeziehung zwischen Fabrice (Lukas Kubik) und Lena (Monika Varga). Aus einer Feierlaune entwickelt sich eine lustvolle Körperlichkeit, aus einer Gesamtüberforderung eine gewalttätige. Lena schlägt Fabrice. Und bis sich dieser erstmals seinem besten Freund anvertrauen kann, sind bereits Jahre vergangen. Eine Hauruckharmonieherstellung ist genausowenig denkbar, wie die Ohnmacht von Dritten einer solchen Situation gegenüber nachfühlbar wird. Also auch die irgendwie geartete/gefühlte Abhängigkeit des Gewaltopfers gegenüber der Täterin, was helfendes Eingreifen verunmöglicht, weil das Erkennen der eigenen Hilfsbedürftigkeit nicht mit der Bereitschaft zum Handeln einhergeht. Jonathan Hug bringt ein komplexes Thema elegant komprimiert auf den Punkt, und das, ohne gekünstelt zu psychologisieren.

 

Sowohl als auch statt entweder oder
Noah van Dok übersetzt in «Fomo» (fear of missing out) einen nahezu psychotischen Zustand primär in einen formal überzeugenden Rausch. Bild, Licht, Musik, Schnitttempo und Schauspielführung ermöglichen in nicht mal sechs Minuten eine eindrückliche Nachfühlbarkeit einer gehetzten Beklemmung. Vergleichbar spritzig in der kurzen Würze verwandelt Ennio Ruschetti den politischen Akt des fotografiewirksamen Händeschüttelns in «Hand in Hand» in eine vielfältig symbolisch interpretierbare Horrorvorstellung, die einzig durch das beherzte Eingreifens des Hausmeisters (Jürg Plüss) vor der Eskalation bewahrt werden kann. Bitter bis böse und darin recht krass überspitzt gezeichnet ist «Cru» von David Oesch, der die Bereitschaft zur Selbstgeisselung für ein berufliches Fortkommen anhand einer Profiküche ausmalt. Gleichwohl dramaturgisch fertiggedacht ist «Make my day» von Kirstin Reppas, wirkt aber hinsichtlich der Tragfähigkeit in Spannung und Tempo wiederum etwas verzagt. Die Einzelszenen in diesem Roadmovie in Richtung Suizid im Ferienidyll, nur verkompliziert durch die eklatante Störung eines pubertierenden Görs, wirken entgegen dem Gesamtplot mit etwas zu gering ausgefallener Inspiration ausgestaltet, was den Drive wie auch die Begeisterung dafür etwas ausbremst.

 

Das klassische ‹ZHdK-Problem›, das sich seit der Bologna-Umstellung des Studiengangs mehrfach manifestiert hat, ist auch diesmal wieder zu sehen. Es ist die Mixtur aus dramaturgisch nicht fertig, also in sich rund gedacht, und einem zwischen Unentschiedenheit und absichtlichem Verbleib in blosser Ahnung von Hintergründen und zusammenhängen stecken gebliebener Stoffentwicklung. Bei Giorgi Sakhelashvilis «Mitternacht» ist die erschwerte Entschlüsselbarkeit der Zeitläufte als einzigem erkennbar als Mittel zur Steigerung des Suspense, während «Kreise» von Noah Frei, «I gseh di» von Luca Ribler deutliche Züge dieser minimen Mangelhaftigkeit aufweisen. Beides sind Ein-Idee-Projekte, die sich aber in sich nicht auflösenden Fragezeichen auflösen. Tendenziell gehören hierzu auch «Mama» von Marlene Maggi und «Things falling apart» von Daniel Loep­fe, ein wenig sogar «Therese» von Fabiana Serpa. Auch sie thematisieren eine durchaus drängende Problemstellung, vermögen aber mehrheitlich aus dem Einzelszenendenken nicht in Richtung einer weiterführenden Entwicklung auszubrechen. Die meisten davon bewegen sich mit ihrer Spieldauer genau in der Zwickmühle, in der ein schmissiger Einfall nicht mehr ganz ausreicht, für eine ausgeklügelte inhaltliche Ausarbeitung vermeintlich die Mühe nicht zu lohnen scheint.

 

Süss im kindlichen Sinn ist der Tagtraum von Anna, die sich in Hae-Sup Sins «Anna Dongmu» für das zweigeteilte Land der Herkunft ihrer Mutter interessiert, aber nur mit Schlagworten vertröstet wird. Als im Tagtraum der Nordkoreaner Ri Young Ho aus dem Kleiderschrank ins Kinderzimmer tritt, bahnt sich eine völkerverständigende Kurzfreundschaft an. Mit «Human resources of Ugago» realisieren Ennio Ruschetti und David Oesch (Regie) mit Robin Disch (Lead-Animation) für den VFX-Producer Valentin Karl Huber die erste hochschulübergreifende Arbeit mit dem Studiengang Animation der Hochschule Luzern Design & Kunst. Er ist witzig, aber der Fokus auf die technische Zusammenarbeit bleibt als Primärinteresse erkennbar.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.