Internationale Solidarität

Nanni Moretti hält dem heutigen Italien den Spiegel vor, indem er mit einer kaum bekannten Geschichtsepisode anhand von Gesprächen mit Zeitzeugen aufzeigt, dass das Land mal noch ein Herz hatte. Und das – je nach Perspektive – erst oder schon vor 46 Jahren. In Chile wird Salvador Allende zum Präsidenten gewählt und ein euphorischer Ruck durchfährt die weltweite Linke, weil eine bessere Welt tatsächlich realisierbar scheint. Es folgt der Dämpfer durch den Putsch von Augusto Pinochet, die Bombardierung des Präsidentenpalastes, die Inhaftierung/Eliminierung von einschlägig exponierten Personen. Bis auf rund sechshundert, die sich auf der Flucht vor den Häschern über die Mauer der italienischen Botschaft in Santiago de Chile retteten, später nach Italien überführt wurden und dort mit Herzlichkeit, offenen Armen, Arbeit und Wohnraum empfangen wurden. Obschon «Santiago, Italia» vornehmlich aus Frontalinterviews besteht, glückt Nanni Moretti eine emotional ergreifende Dramaturgie. Er befragt auch ehemalige Militärs, die ihrerseits eine Präsidentenwahl mit 36 Prozent der Stimmen für nichtdemokratisch halten oder sich hinter dem altbewährten Abwehrreflex verbarrikadieren, ein Soldat sei nicht zum Denken, sondern zum Befehle ausführen da. Zudem sehen sie sich im Recht, einen Bürgerkrieg verhindert zu haben, worin ihnen sämtliche andere Interviewpartner dezidiert widersprechen. Erst der Putsch trug bürgerkriegsähnliche Züge, die Militärdiktatur in der Folge liess ganz Terrorregime keinerlei Widerstand mehr zu. Die teils prominenten ChilenInnen, wie etwa Patricio Guzmán, berichten von durchlittener Folter, rücken die Geschichtsschreibung über den Wesenskern der damaligen chilenischen Linken ins richtige Licht und zeigen sich der damaligen italienischen Fremdenfreundlichkeit gegenüber nur dankbar. Angesichts der heutigen italienischen Haltung gegenüber Flüchtenden, nimmt sich diese reale Gegebenheit wie ein Märchen aus einer längst vergangenen Zeit aus. Nanni Moretti glücken damit das Kunststück von hochpolitischer Dringlichkeit – mal zwei.

 

«Santiago, Italia» spielt im Kino Arthouse Uto.

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