«Indirekte Anti-USR-II-Vorlage»

Die Juso sind überzeugt: Die Schweizer Bevölkerung hat genug von Steuergeschenken an die Reichsten unseres Landes. Mit ihrer 99%-Initiative haben sie Grosses vor – das Kapital des reichsten Prozents soll endlich gerecht besteuert werden. Warum die Initiative sogar sehr brav sei, erklärt Fabian Molina im Gespräch mit Julian Büchler.

 

Mit der aufsehenerregenden Lancierung der 99%-Initiative, bei der Sie vor dem Haus von Magdalena Martullo-Blocher campierten, haben Sie anscheinend in ein Wespennest gestochen. Viele Leute wetterten auf Social-Media gegen die Juso und sagten, die würden besser arbeiten gehen. Berechtigterweise?

Fabian Molina: Es war genau das Ziel der ganzen Aktion, zu zeigen, dass Frau Martullo-Blocher nicht arbeiten muss für ihr Geld, sondern ihr Geld für sich arbeiten lässt. Die grosse Mehrheit in diesem Land, die selber arbeiten muss, hat Interesse an einem gerechteren Steuersystem, in dem Arbeit steuerlich entlastet und Kapital belastet wird, sodass sich das Arbeiten lohnt.

 

Auf dem Bundesplatz in Bern brachten Sie viele unterschiedliche Leute an einen Tisch, von SchreinerInnen und LehrerInnen bis hin zu BauarbeiterInnen. Alles nur ideologische Linke oder schafft es die Initiative, ein breiteres gesellschaftliches Spektrum abzuholen?

Ich selber war bei der Einreichung auf dem Bundesplatz nicht dabei, habe aber seitdem auf der Strasse Unterschriften gesammelt und bemerkt, dass es ein Thema ist, das den Nerv der Leute trifft. Die meisten verstehen zurecht nicht, warum Arbeit als Grundlage unseres Wohlstandes steuerlich schlechter gestellt ist als Kapital. Ich bin überzeugt, dass wir keine Mühe haben, die Akzeptanz der Bevölkerung und die nötigen Unterschriften zu erreichen.

 

Die Gegner sagen, es gebe keinen sachlichen Grund, verschiedene Einkommensarten moralisch unterschiedlich zu qualifizieren. Jeder legal erworbene Franken sei gleich zu besteuern. Warum sind Sie da anderer Meinung?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine massive Verschiebung von Arbeit zu Kapital erlebt. Das reichste Prozent in der Schweiz besitzt heute mehr als 40 Prozent des Vermögens. Diese massiven Vermögenskonzentrationen auf der einen und die gleichzeitigen Unterscheidungen verschiedener Einkommensklassen im Steuerrecht zugunsten des Kapitals auf der anderen Seite zeigen diese Stossrichtung deutlich. Bestes Beispiel dafür war die Unternehmenssteuerreform II. Durch die damit verbundenen Begünstigungen der Dividenden entgingen dem Bund bis heute fast 15 Milliarden Franken. So ist die Initiative als Anti-USR-II-Vorlage zu verstehen. Gerade auch das Scheitern der Unternehmenssteuerreform III hat gezeigt, dass viele kein Verständnis für weitere Privilegien zugunsten von Grossaktionären und multinationalen Konzernen haben.

 

Die reformorientierte Plattform der SP Schweiz erklärte, dass keine Unterscheidung in der Besteuerung gemacht werden darf. Momentan wird Kapital zu 60 und Arbeit zu 100 Prozent besteuert. Warum fordert die Initiative 150 und nicht auch 100 Prozent, um beides auf die gleiche Ebene zu stellen?

Ich bin überzeugt, dass Steuern in erster Linie dazu da sind, die Leistungen des Staates für alle zu finanzieren, aber auch die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen korrigieren sollte. Längerfristig stellt eine Gesellschaft, deren Schere zwischen arm und reich auseinanderdriftet, eine Gefahr für die Demokratie dar, denn «wer zahlt, befiehlt». In den Jahren 2003 bis 2013 erlebten wir in der Schweiz eine Verdoppelung des Vermögens der reichsten BürgerInnen. Im europäischen Raum stieg der Wohlstand in den letzten zehn Jahren um einen Viertel an – die unteren 50 Prozent haben davon jedoch nicht profitiert, ihr Vermögen stagnierte. Von der gesteigerten Produktivität und dem technologischen Fortschritt profitiren folglich nur die bereits Bessergestellten.

 

Der Freibetrag für Kleinsparer scheint auf den ersten Blick sinnvoll. Was sagen sie aber den KMU-Eigentümern, die ihre Altersvorsorge über die Renditen von Kapitalanlagen generieren?

Die Initiative ist eigentlich wahnsinnig brav. Mit dem Freibetrag von 100 000 Franken sollen gezielt KleinsparerInnen geschützt werden, denn die Initiative soll diese nicht zusätzlich belasten. Die immer hemmungsloseren Steuergeschenke waren nicht seit jeher gegeben, sondern häuften sich in den letzten Jahrzehnten. Zuvor hat die Wirtschaft auch funktioniert. Die Initiative will zurück zu diesem Ausgangspunkt.

 

Trifft die Initiative nicht vielmehr die Falschen, sind doch beispielsweise die immensen Managerlöhne dadurch nicht tangiert?

Wir haben eine Herausforderung bei den Lohnunterschieden, welcher sich die Juso mit der 1:12-Initiative gestellt hat. Dieses Thema war nicht mehrheitsfähig, befindet sich aber weiterhin auf unserer politischen Traktandenliste. Diese Initiative hat aber klar ein anderes Ziel.

 

Von bürgerlicher Seite kommt das Argument, dass die Juso die Superreichen verteufeln und sich in diesem schwarz/weiss Denken verfangen. Reiche sind schlecht, Arme sind gut – unterschreiben Sie das?

Es geht überhaupt nicht um gut oder schlecht, es geht um Gerechtigkeit. Der gemeinsam erwirtschaftete Wohlstand soll auch allen zugutekommen. Diejenigen, die wirklich arbeiten, morgens früh auf der Baustelle oder im Büro ihre Tätigkeit beginnen, sind auch noch die Dummen, die auf ihr Einkommen mehr Steuern bezahlen als jene, die einfach Geld auf dem Bankkonto haben. Man muss sich einmal überlegen, wie viel Geld jemand besitzen muss, um bei einem Zinssatz von heute durchschnittlich 0,2 Prozent mehr als 100 000 Franken daraus zu bekommen. Es ist in meinen Augen also nicht überrissen zu fordern, dass, wer so viel Geld besitzt, auch mehr abliefert.

 

Die Gegner in den eigenen Reihen mahnen, dass mit dieser Initiative der soziale Steuergrundsatz «jeder wird nach seiner wirtschaftlichen Leistung besteuert», über Bord geworfen wird und die SP so an Glaubwürdigkeit verliert. Lohnt sich dieses Opfer?

Die Geschäftsleitung der SP Schweiz beantragte einstimmig die Unterstützung dieser Initiative. Dies zurecht: Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsgesellschaft besagt, dass diejenigen, die mehr tragen können, auch mehr schultern – nicht mehr und nicht weniger.

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