«Ich bin ein Glückspilz»

Nächste Woche steht Gaby Schmuklerski zum letzten Mal in ihrem Laden an der Stauffacherstrasse und verkauft ihre Lerski-Taschen. Im August übernimmt Polina Sommer den Laden, der neu als Betrieb der Stiftung ZSGE geführt wird (siehe Kasten). Über den Abschied und den Neuanfang geben die beiden im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

Wie ist Ihr Geschäft entstanden?

Gaby Schmuklerski: Nach der Ausbildung zur Modezeichnerin arbeitete ich einige Jahre in der Modeindustrie und danach während zwanzig Jahren in der Pressebildagentur Dukas. Nach dem Tod des Gründers ging es zwar vorerst weiter, doch nach drei Jahren verkrachten wir uns, und ich wurde entlassen. Damals war ich 55 und rechnete nicht damit, nochmals eine neue Stelle zu finden. Doch meine Nähmaschine hatte mich mein Leben lang begleitet, und wie sich herausstellen sollte, lag darin meine Zukunft.

 

Wie denn das?

G.S.: (steht auf und holt eine kleine Tasche hervor): Dieses Täschli kam bei einer Hausräumung zum Vorschein. Es ist bestechend einfach gemacht, und es wurde offensichtlich sehr lange und sehr oft gebraucht. Ich wusste sofort, dass es das ist, was ich machen will. Also habe ich die Tasche nachgenäht und dieses erste Modell sodann weiterentwickelt.

 

Der Clou der Lerski-Taschen ist ihr Geheimfach: Wie sind Sie auf diese geniale Idee gekommen?

G.S.: Ich hatte einmal eine Tasche mit einem ungünstig positionierten Reissverschluss. Das müsste sich besser lösen lassen, fand ich und probierte das eine und andere aus, bis sich schliesslich die Geheimfach-Lösung ergab.

 

Die ist hoffentlich patentiert?

G.S.: Das Design aller neun Modelle der Lerski-Kollektion ist geschützt. Mit der Übernahme des Ladens bekommt Polina Sommer nun das Recht, meine Taschen zu nähen und zu verkaufen. Die Rechte werden der Stiftung ZSGE übertragen.

 

Der Weg von der zündenden Idee über das geschützte Design bis hin zum eigenen Laden  war sicher lang und beschwerlich?

G.S.: Ich habe einem Nachbarn und Freund ein paar Taschen gegeben, und er hat sie in seinem Modegeschäft ins Schaufenster gestellt. Dann habe ich mich beim Amt für Wirtschaft und Arbeit für einen Kurs angemeldet zum Thema, «wie mache ich mich selbstständig?». Als ich aus dem Kurs kam, war ich mir sicher: Die Voraussetzungen stimmen, diesen Schritt will ich machen. Auf dem Rückweg – ich war noch nicht mal an der Tramhaltestelle angelangt – bekam ich einen Telefonanruf: Eine Journalistin des ‹Tages-Anzeigers› war dran; sie sagte, sie stehe gerade vor dem Schaufenster mit meinen Taschen und würde gern ein Interview mit mir machen.

 

Und so legten Sie los, bevor Sie einen Laden hatten?

G.S.: Nein, ich erklärte der Journalistin, für ein Interview sei es noch zu früh. Ich wollte erst eine Verkaufsstelle haben, wenn möglich in der Innenstadt, und eine Website brauchte ich auch. Diese baute mir mein Mann auf, der Grafiker Raymond Naef. Ich marschierte derweilen in ein Taschengeschäft in der Nähe der Bahnhofstrasse und erklärte dem Inhaber, meine Taschen passten so gut in sein Sortiment, dass er sie einfach verkaufen müsse. Er teilte meine Einschätzung und bestellte gleich mal 24 Stück. Danach rief ich die Journalistin an und sagte ihr, jetzt könne sie das Interview machen. Es wurde eine ganze Seite im Züri-Tipp, mit Bild.

 

Womit Sie über Nacht berühmt wurden?

G.S.: Jedenfalls kamen meine Nachbarinnen, die noch gar nichts von meinen neuen Plänen mitbekommen hatten, mit ihren Freundinnen, Müttern und Töchtern daher und wollten meine Taschen kaufen. Wildfremde Leute klingelten an meiner Türe, andere riefen mich an und bestellten Taschen. Einmal erhielt ich eine E-Mail von einer Frau aus Deutschland, die mir schrieb, sie sitze gerade im Intercity ab München, ihre Sitznachbarin habe eine Lerski-Tasche – und so eine müsse sie auch haben.

 

Das Klischee von den harten ersten Jahren als Selbstständigerwerbende trifft in Ihrem Fall demnach nicht zu.

G.S.: Nein, denn kaum war die Bestellung von 24 Stück vom Taschenladen im Trockenen, wurde mir auch noch der Laden an der Stauffacherstrasse offeriert, den ich nun noch bis am 21. Juli führe. Die ganze Entwicklung, vom Kursbesuch bis zur Zusage für den eigenen Laden, ist im Jahr 2004 passiert, um genau zu sein, innerhalb von 14 Tagen. Ich bin ein Glückspilz, ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ich habe nie Werbung gemacht, es hat einfach gestimmt.

 

Dann muss die Frage wohl eher lauten, wie Sie es schafften, nicht in der Arbeit zu ertrinken?

G.S.: Mit 55 wollte ich nicht noch anfangen, Leute einzustellen. Aber in Aarau gibt es ein Arbeitsintegrationsprojekt, das damals Pegasus hiess; heute ist es die Sozialfirma Trinamo. Deren KlientInnen stellten meine Taschen her, wenn ich grössere Aufträge hatte. Dazu kommen zwei externe Näherinnen, die ebenfalls nach Bedarf für mich arbeiteten.

 

Es ist demnach kein Zufall, dass Sie Ihren Laden nun einer weiteren sozialen Institution vermachen?

G.S.: Als meine Finger langsam immer krummer wurden vom vielen Nähen, überlegte ich mir, wie es weitergehen sollte, und kam rasch zum Schluss, Lerski an ein Sozialwerk zu übergeben. Denn die Taschen sind einfach zu nähen und deshalb gut geeignet für die TeilnehmerInnen von Arbeitsintegrationsprojekten. Da Raymond Naef für die Stiftung ZSGE seit langem den Jahresbericht gestaltet, bin ich darauf aufmerksam geworden. Also habe ich die Stiftung angefragt, und es hat nicht viel gebraucht, um sie zu überzeugen. Nun nähen künftig Menschen meine Taschen, die nicht so viel Glück im Leben hatten wie ich. Denn abgesehen davon, dass sich mein Geschäft praktisch von selber aufgebaut hat, konnte ich auch vom ersten Tag an davon leben, und das nicht schlecht.

 

Und haben Sie, Frau Sommer, dereinst eine ebenso zündende Idee wie einst Frau Schmuklerski, dann schreiben Sie die Geschichte mit Ihrem eigenen eingetragenen Design weiter?

Polina Sommer: Das ist Zukunftsmusik: Ich konzentriere mich zusammen mit meinen KlientInnen fürs Erste darauf, Lerski-Taschen zu produzieren und sie an die Frau und den Mann zu bringen.

 

Was hat Sie daran gereizt, einen Laden zu führen, der auch ein Integrationsprojekt ist?

P.S.: Ich bin Modedesignerin und habe nach der Ausbildung Praktika bei kleineren und grösseren Labels in Berlin gemacht. Auch für die Berliner Fashion Week habe ich gearbeitet. Als ich nach Zürich zurückkehrte, machte ich eine Weiterbildung in Marketing und arbeitete im Verkauf. Das fand ich eine ideale Ergänzung, denn mit der Herstellung von Kleidern ist es bekanntlich nicht getan, sie müssen auch den Weg zur Kundschaft finden. Schliesslich übernahm ich in Basel den Laden CO13, ein Arbeitsintegrationsprojekt. Dort habe ich KlientInnen angeleitet und mit ihnen gemeinsam Kleider produziert und verkauft.

 

Dort konnten Sie sich nicht weiterentwickeln?

P.S.: Das war nicht das Problem, doch nach drei Jahren wurde mir das Pendeln zu mühsam, und ich schaute mich nach einem neuen Job um. Da entdeckte ich ein Inserat der Stiftung ZSGE, die jemanden suchte, um einen Laden zu führen und KlientInnen anzuleiten. Ich bewarb mich und erhielt die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Noch bevor dieses stattfand, ging ich einfach mal bei Gaby im Laden vorbei und stellte mich ihr vor.

G.S.: Diese Neugier hat mir gefallen; das ist eine gute Voraussetzung.

P.S.: Mir gefiel, wie wir sofort ins Fachsimpeln kamen, und das Produkt ist wirklich toll. Ich freue mich sehr, diesen Laden übernehmen zu dürfen: Es ist eine Ehre.

 

Werden die KlientInnen die Taschen von A bis Z selbstständig nähen?

P.S.: Das ist noch offen, denn es hängt natürlich auch davon ab, welche Fähigkeiten sie mitbringen. Ich gehe davon aus, dass ich drei TeilnehmerInnen zu 100 Prozent beschäftigen und darauf achten werde, dass sie eine gewisse Zeit hier sein können. Das ist eine Voraussetzung, um auch anspruchsvollere Tätigkeiten übernehmen zu können. So oder so ist es meine Aufgabe, die TeilnehmerInnen anzulernen.

 

TeilnehmerInnen an einem Arbeitsintegrationsprojekt kommen und gehen nicht nur, sondern sind auch sonst keine ‹gewöhnlichen Angestellten›: Was machen Sie, wenn jemand in drei Tagen 200 Taschen haben möchte, und Sie stehen gerade ohne Klient-Innen da?

P.S.: Organisatorisch ist der Laden nun ein Betrieb der ZSGE. Für einfache Arbeiten werde ich eng mit dem Hauptbetrieb zusammenarbeiten: Die TeilnehmerInnen könnten zum Beispiel Gurtband für die Trageriemen zuschneiden. Grundsätzlich sind viele Aufträge durchaus erwünscht…

G.S.: Wir besuchen demnächst noch gemeinsam eine Einkäufermesse, an der ich meinen KundInnen den Wechsel bekanntgeben und ihnen Polina vorstellen werde.

P.S.: Und ich freue mich schon sehr darauf, am 7. August den frisch renovierten Laden eröffnen zu dürfen.

G.S.: Im übrigen endet meine Zeit im Lerski-Laden nun, wie sie angefangen hat: Mit einem Inverview.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.