Haupt- und Nebengleise

Bereits die ersten Resultate zeigten: Die USR III wird abgelehnt. Und auch bei der erleichterten Einbürgerung der dritten Generation war der Fall bald klar. Und so gab es schon früh viel zu feiern.

 

Die Interpretation des USR III-Neins verlief in drei Linien. Die erste: Der Trumpismus ist auch in der Schweiz angekommen, wie Markus Häfliger im ‹Tages-Anzeiger› schreibt: «Bei der USR III dürfte auch ein Trump-Effekt mitgespielt haben. Ein Teil des Neins zur USR III ist auch ein diffuses Votum gegen die Globalisierung, gegen undurchsichtige Konzerne, gegen eine als abgehoben empfundene Managerkaste: Das zeigt sich etwa daran, wie deutlich viele ländliche, von der SVP dominierte Gemeinden im Aargau Nein gesagt haben.» Auch die Politologen Thomas Milic und Thomas La Russo vermuten auf der Website ‹politan.ch› einen Trump-Effekt. Es sei keine Links-Rechts-Frage gewesen, sondern «vielmehr ein Aufbegehren gegen Globalisierungsprozesse (steuerliche Begünstigung internationaler Multis), der – ähnlich wie bei TTIP – links und rechts für einmal zusammenbrachte.» Es seien vor allem ländliche, konservative Kreise gewesen, die die USR III zusammen mit der Linken bachab schickten, das zeigt sich darin, «dass die USR III auch und teils gerade in den ländlichen Regionen der Deutschschweiz abgelehnt wurde, während sie zumindest in gewissen urbanen Regionen (Genf und Basel-Stadt) vergleichsweise gut abschnitt.»

 

Die zweite Schiene: Die Vorlage war zu komplex. Marcel Amrein meinte in der NZZ, die Komplexität der Vorlage sei einer sachlichen Debatte wenig förderlich gewesen. Also habe das Volk einen «Bauchentscheid» gefällt. Auch der Chefredaktor Eric Gujer bläst auf Twitter in bester Trumpscher Manier ins gleiche Horn: «Das Schweizervolk geht manchmal bemerkenswert gleichgültig mit den Grundlagen seines Wohlstands um. So sad.» Die dritte Schiene, auf der Bundesrat Ueli Maurer fuhr und die auch in einigen Medien propagiert wurde: Es sei die Quittung für die Nicht-Umsetzung der MEI gewesen. Die SVP-WählerInnen haben denen in Bern oben einen Denkzettel verpassen wollen.

 

Die letzte Überlegung scheint mir relativ einfach entkräftet. Wäre es einfach ein Grundsatz-Denkzettel des Volkes an Bundesrat und Parlament, wären die anderen beiden Behördenvorlagen zur NAF und zur Einbürgerung nicht so komfortabel beschlossen worden. Es mag den einen oder die andere SVP-WählerIn gegeben haben, die das USR III-Nein als Denkzettel gegen die Polit-Elite verstanden hat. Aber es gab viele andere, die aus anderen Gründen Nein gestimmt haben. Das an vielen Orten als ‹Game-Changer› emporstilisierte ‹Blick›-Interview mit Eveline Widmer-Schlumpf mochte sie wohl kaum angesprochen haben, zu sehr ist sie bei der SVP verhasst. Sowohl ihre Person wie auch ihr Argument, dass das Parlament übertrieben und das Fuder überladen hat, zielten wohl eher auf die politische Mitte. Wie die Nachwahlbefragung des ‹Tages-Anzeigers› zeigt, haben nur Freisinnige der Vorlage zugestimmt. Bei allen anderen Parteien – insbesondere bei GLP und BDP – lehnte die Mehrheit der AnhängerInnen die Vorlage ab.

 

War die Vorlage schlicht zu kompliziert? Es waren in erster Line die Befürworter, die stets die Komplexität der Vorlage betont haben. Und: Sie haben den Leuten gar angepriesen, die «Katze im Sack zu kaufen», wie es der ‹Blick›-Chefredaktor Christian Dorer forderte. Dass man bei so einer Argumentation etwas skeptisch wird, kann man dann aber wirklich nicht auf ein grundsätzliches Eliten- und Staatsmalaise schieben.

 

Es bleiben der Trumpismus und die Globalisierungskritik. Nun ist insgesamt die Skepsis an der Globalisierung gestiegen. Dass jetzt neu der Trumpismus auch in die Schweiz eingezogen sei, verkennt die Geschichte. Seit mehr als 25 Jahren dominiert die SVP die politische und mediale Agenda. Auch hierzulande gibt ein Milliardär vor, die kleinen Leute zu vertreten, und betreibt in Wirklichkeit knallharte Interessenspolitik für sich und seinesgleichen. Tatsächlich haben konservative Landgemeinden die USR III ablehnt. Linke Städte aber auch. Genauso wie die Agglomeration. Im Kanton Zürich waren es praktisch nur die Goldküsten-Gemeinden, die der Vorlage zugestimmt haben. Dass die Stadtkantone Basel-Stadt und Genf die USR III ebenfalls abgelehnt haben, war eine grosse Überraschung. Gerade das klare Nein in Basel-Stadt, wo sich die beliebte und über die Parteigrenzen hinaus anerkannte Finanzdirektorin Eva Herzog massiv für ein Ja ins Zeug gelegt hat.

 

Näher auf der Spur ist ausnahmsweise BAZ-Chefredaktor Markus Somm (wiewohl er sich gegen Ende auf einem ideologischen Nebengleis verfährt): «Die Linke triumphiert von A bis Z, sie hat eine gute Kampagne gemacht, sie hat – unüblich für die SP – sogar den Mittelstand entdeckt, vor allem hat sie ein viel besseres Gespür dafür bewiesen, wie das Volk sich fühlt, wenn Bern es mit komplizierten, schwer verständlichen Vorlagen behelligt, die nur jenen nützen sollen, die, so der Eindruck in breiten Kreisen, ohnehin viel zu viel haben.» Die Manager der Grosskonzerne hätten keine Ahnung, wie Politik hierzulande funktioniere: «Gehen Sie wieder einmal an eine Gemeindeversammlung – dann erkennen Sie rasch, dass es nicht reicht, wie das die Economiesuisse ihren Auftraggebern offenbar einredet, die halbe Schweiz mit Schweizerkreuzen vollzupflastern und dann zu meinen, die Bürgerschaft sei dumm genug.»

 

Die Schweiz hat nicht Ja gesagt zum SP-Parteiprogramm. Aber die Mehrheit der Bevölkerung hat Nein gesagt zu einer Vorlage, die ihr Gerechtigkeitsempfinden gestört hat. Sie sah nicht ein, warum sie für etwas bezahlen soll, wovon andere profitieren. Es genügt nicht mehr, allein an die Hoffnung zu appellieren, ein paar Brosamen würden dann schon auch noch für alle abfallen. Denn der Tatbeweis dafür ist in den letzten Jahren immer mehr ausgeblieben. Mit Taten kann man das Vertrauen zurückgewinnen. Mit vom ‹Blick› inszenierten Bürgergesprächen allein wohl kaum.

 

Die kleine, aber schöne Schadenfreude vom Sonntag noch zum Schluss: Selbst Oberwil-Lieli hat der erleichterten Einbürgerung zugestimmt. Es ist beruhigend zu wissen, dass man mit einem Burka-Plakat nicht jeden Mist verkaufen kann. Und so bleibt die Burka hoffentlich bis auf weiteres in der Kampagnen-Mottenkiste.

 

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