Guter Ruf in Gefahr

Der bekannteste Whistleblower der Schweiz, Rudolf Elmer, kandidiert im Bezirk Bülach auf der Liste der AL für den Kantonsrat. Warum er in die Politik will, was die Veröffentlichung von Bankdaten bereits bewirkt hat und welche Folgen die «Swissleaks»-Enthüllungen haben müssten, erklärt Rudolf Elmer im Wochengespräch.

 

Sie sollen gegen das Bankgeheimnis verstossen sowie Bankkundendaten und Daten über Trusts und Offshore-Konstrukte der Julius-Bär-Gruppe an Wikileaks übergeben haben; letzterer Prozess endete kürzlich vor Bezirksgericht mit einem Teil-Freispruch, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Warum steigen Sie gerade jetzt und ausgerechnet für die AL in Ihren ersten Wahlkampf?
Rudolf Elmer: Mit der AL bin ich seit längerem in Kontakt, genauer seit der von Niklaus Scherr organisierten Pressekonferenz vom 19. Januar 2011, die zwischen Gerichtsverhandlung und erneuter Untersuchungshaft stattfand. Rasch wurde mir damals klar, dass die Themen der AL mit dem vereinbar sind, was ich vertrete, und dass ihre ExponentInnen über viel Fachkompetenz verfügen: Ich traf auf Menschen, die meinen Justizfall auf der sachlichen Ebene behandelten und verstanden, worum es geht.

 

Und warum sollte man ausgerechnet Sie in den Kantonsrat wählen?
Ich verstehe etwas von Finanzen und möchte diese Kenntnisse in die Politik einbringen, und ich werde mich für die Grundrechte einsetzen. Als einer, der im Zürcher Kreis 5 aufgewachsen ist, wehre ich mich zudem gegen die Vertreibung von ‹normalsterblichen› Familien und des Kleingewerbes aus der Gegend, die einst ein tolles Industriequartier war. Aber ich habe auch noch ein weiteres, umfassenderes Anliegen.

 

Das da wäre?
Der gute Ruf, den die Schweiz weltweit geniesst, wird durch den Finanzplatz massiv geschädigt: Die Banker, die sich aus purer Gier und Machtstreben zu kriminellen Handlungen hinreissen lassen, übermitteln der Welt ein Bild der Schweiz, das überhaupt nicht zu dem Bild der ehrlichen, aufrichtigen und bescheidenen Menschen passt, das man sich im Ausland von den SchweizerInnen macht. Ich will der Gefahr, dass unser Finanzsystem dem guten Ruf des Landes bleibenden Schaden zufügt, auch politisch begegnen.

 

In Ihrem Buch «Bankenterror» beschreiben Sie sich als nichtsahnenden, seriösen Angestellten, der auf den Cayman-Inseln bloss seine Aufgabe gut machen wollte, nämlich die interne Revision – und dennoch endet die Geschichte damit, dass Sie als Whistleblower vor Gericht kamen. Was ist da passiert?
Ich hatte sieben Jahre lang in der internen Revision bei der Bank Julius Bär in Zürich gearbeitet, als ich das Angebot erhielt, in der Tochtergesellschaft der Bär Holding AG, Zürich auf den Cayman-Inseln den Posten des Chefs der Administration zu übernehmen und die Geschäftsstelle auszubauen. Das tönte nach einem spannenden Job; ich ging mit einer Art Pfadfinder-Mentalität und, das gebe ich zu, einer gewissen Naivität dorthin: Ich dachte, ich hätte es im Griff und könnte allfällige Schwierigkeiten überwinden beziehungsweise die Dinge ändern, die mir nicht gefielen. Leider hat das nicht funktioniert.

 

Warum nicht?
Ich hatte den Auftrag, die Abläufe zu vereinheitlichen und die EDV im weitesten Sinne auf den neusten Stand zu bringen, um ein grösseres Geschäftsvolumen abwickeln zu können. Doch ich musste feststellen, dass mir nicht alles gesagt wurde, was ich dafür hätte wissen müssen, und mir auch nicht alle nötigen Daten zur Verfügung standen. Für die Leute vor Ort schaute ich offensichtlich zu genau hin – und machte mich damit unbeliebt.

 

Sie bestehen also darauf, dass Sie zuvor nie irgendwelchen krummen Geschäften begegnet waren?
Es gab auch bei Julius Bär in Zürich Probleme, aber bei weitem nicht in dem Ausmass. Und ich habe auch erlebt, dass Herr Hans J. Bär als Patron alter Schule Kunden höchstpersönlich die Tür wies, weil sie etwas verlangt hatten, was seinem Geschäftsethos widersprach. Umgekehrt ist es in der Bankenwelt aber auch üblich, dass die einzelnen Angestellten ihre jeweiligen Arbeiten machen, ohne die ganze Abwicklung eines Geschäfts von A bis Z zu überblicken. Banken sind so strukturiert, dass es auch für viele Interne nicht möglich ist, mitzubekommen, was der wirtschaftliche Hintergrund gewisser Transaktionen ist.

 

Aber wenn niemand den Überblick hat, leidet darunter doch letztendlich das Geschäft.
Die Geschäftsleitung und insbesondere die Vermögensverwalter bei Privatbanken haben natürlich den Überblick. Sie haben den direkten Kontakt zum Kunden. Aber von den restlichen Angestellten sind allzu kritische Blicke unerwünscht.

 

Auch in Zürich oder nur auf den Caymans?
Als ich während meines Praktikums bei der CS von 1976 bis 1980 bemerkte, dass Geld von einem bestimmten Konto aus von einem Trust in den andern verschoben wurde, also gewissermassen im Kreis herum ging, fragte ich meinen Vorgesetzten, ob da wirklich alles in Ordnung sei. Da übernahm er die Untersuchung, und ich hörte nie mehr etwas davon. Später lernte ich auch, dass die Vermögensverwalter zwar dokumentieren müssen, woher die Kunden das Geld haben, das sie ihnen anvertrauen – aber das heisst noch lange nicht, dass sie tatsächlich nachprüfen, ob das, was der Kunde ihnen erzählt, stimmen kann.

 

Unterdessen braucht es doch Belege, dass das Geld ordentlich versteuert wird.
Als ich auf Mauritius bei der Standard Bank of Africa arbeitete, mussten die kritischen, superreichen afrikanischen KundInnen eine Bestätigung eines lokalen Anwalts vorlegen, dass das Geld versteuert ist. In der Schweiz jedoch wird das nicht gemacht. Dabei hätten wir eine vergleichbare Regelung gut gebrauchen können, als die Amerikaner Druck aufs Bankgeheimnis machten.

 

Was hält die Schweizer Banken denn davon ab? Die heilige Kuh namens Bankgeheimnis?
Gewisse Schweizer Banken haben an solchen Regelungen kein Interesse, weil dubiose Kunden schlicht nicht wünschen, z.B. nach ihren Steuerdaten gefragt zu werden. Es ist nicht eine Frage des Bankgeheimnisses, sondern eine Frage der Gier: Wenn die Schweizer machen, was andere nicht oder nicht mehr machen wollen, dann tun sie das, weil es ein gutes Geschäft ist. Frei nach dem Motto: Verdiene viel und lass dich nicht erwischen!

 

Dann hat der Staatsanwalt also nicht unrecht, der Ihnen vorwarf, Sie seien «ein ganz normaler Verräter», denn Sie hätten jahrelang selber gut verdient und dann, als Sie kalte Füsse gekriegt hätten, ungeniert Ihren ehemaligen Arbeitgeber angezeigt?
Von aussen gesehen kann man diesen Eindruck bekommen; insofern akzeptiere ich den Vorwurf. Das ändert aber nichts daran, dass man mir auf den Caymans Informationen vorenthalten hat, die ich gebraucht hätte, um Missbräuche aufzudecken und zu eliminieren. Das, was man mir vorlegte, war jedenfalls soweit in Ordnung. Als ich noch in Zürich arbeitete und sah, dass ein Konzern, der Kunde der Bank Bär war, Gewinne nicht versteuert hatte, ging ich davon aus, dass er mit den Behörden ein sogenanntes Tax Ruling abgemacht hatte, also eine Vereinbarung getroffen hatte wie beispielsweise jene der Firma des heutigen Bundesrats Schneider-Ammann.

 

Hätten Sie diese Vermutung nicht überprüfen müssen?
Das lässt sich sehr schwierig überprüfen; solche Informationen werden auch intern nicht wiedergegeben, die hat nur ein sehr kleiner Personenkreis. Ich habe aber von 1994 bis 2002 auch keine Geschichte erlebt, die mich alles hätte in Frage stellen lassen, mit einer Ausnahme: Das war der «Moonstone-Fall», über den der Wirtschaftsjournalist Gian Trepp 2008 in der WOZ geschrieben hat. Bei Bär hörte man intern nicht viel darüber, vier Monate später wurde der damalige Bär-CEO in Pension geschickt, und das wars: Gewisse Fragen stellt man einfach nicht, um seinen Job nicht zu gefährden.

 

So gesehen ist es schon fast ein Wunder, dass Sie auf den Cayman-Inseln nicht noch grössere Probleme bekamen…
Ich war dort die Person, die meine Kollegen vor Ort am liebsten wieder zurückgeschickt hätten. Doch ich vertraute dem Management auf den Caymans, in Zürich, London und New York, dass Missbräuche mir als Compliance Officer gemeldet werden; zu diesem Fehler stehe ich.

 

Schon was Sie bekannt gemacht haben, hätte im Prinzip ein Umdenken bewirken müssen. Seither hatten wir die Finanzkrise und die Diskussionen um den automatischen Informationsaustausch – und nun Swissleaks: Hört das denn nie auf?
Wir haben in der Schweiz rund 300 Banken, rund die Hälfte davon sind Privatbanken. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ist das gewaltig. Swissleaks war kaum der letzte Fall. Es gab zwar Einigungen mit den USA und Deutschland, aber dass nun alles anders wird, glaube ich nicht. Wenn jede der rund 150 Privatbanken in der Schweiz mit etwa 190 Ländern geschäftet, dann ist es nicht allzu tragisch, wenn die USA, Deutschland und Frankreich nun ein bisschen Druck machen: Es bleiben ja immer noch 187 Länder…

 

Es gibt also weiterhin gute Gründe, zum Whistleblower zu werden?
Aus welchen Gründen jemand zum Whistleblower wird, ist meiner Meinung nach dritt-, ja viertrangig: Selbst wenn einer nur deshalb eine Daten-CD klaut, um sie für viel Geld weiterzuverkaufen, ist das besser, als wenn er nichts machte – denn damit ergibt sich eine Gelegenheit, kriminelle Geschäfte öffentlich zu machen, bevor sie den Ruf des Landes beschädigen können. Ich bin Hervé Falciani dankbar, dass er den Fall HSBC beziehungsweise Swissleaks bekannt gemacht hat. Anderseits darf dieser Daten-CD-Handel auch nicht zu einem Geschäftsmodell werden. Darum habe ich konsequent Geldofferten abgelehnt.

 

Wann war für Sie das Mass voll? Was machte Sie zum Whistleblower?
Auf den Caymans bekam ich eines Tages die Anweisung, Bestätigungen nach Zürich zu mailen, dass ich gewisse Käufe und Verkäufe von Wertschriften in Auftrag gegeben hatte – dabei waren diese Geschäfte bereits sechs Stunden zuvor in der Schweiz besiegelt worden. Da wurde mir klar, dass diese Bestätigungen für die Steuerbehörden gebraucht wurden: Wenn der Kauf- oder Verkaufsentscheid offiziell auf den Caymans gefallen war, dann waren die Caymans das Steuerdomizil, nicht die Schweiz. Damit war der mit der Transaktion erzielte Franken-Gewinn in Zürich nicht steuerpflichtig – und auf den Caymans werden weder Einkommens- noch Vermögenssteuern erhoben, sondern lediglich Gebühren. Das war einer der Punkte, an dem ich fand, nun gehe es zu weit. Immerhin war ich als Compliance Officer das rechtliche Gewissen des Unternehmens.

 

Sie hatten doch eine genügend hohe Stellung, um selber aktiv werden zu können.
Aber ich hatte nicht alle nötigen Informationen, und sich gegen Geldverdienen zu stellen, hätte direkt zu meiner Entlassung geführt. Und vor allem wurde mir klar, dass solche Mechanismen auch umgekehrt funktionieren: Andere Länder missbrauchen die Schweiz als Verdunkelungs- und Verschleierungs-Oase.

 

Sie machen sich Sorgen um den guten Ruf der Schweiz: Wäre das nicht der Job des Bundesrats und des Parlaments in Bern?
Die Banken bringen dem Land Wohlstand; deshalb ist es verständlich, dass der Staat auch dubiose Geschäftsmodelle schützt. Der Finanzbereich ist die wichtigste Branche des Dienstleistungssektors, und dessen Wichtigkeit für die Wirtschaft nimmt stetig zu. Auch deshalb wird es weiterhin neue Steueroasen geben. Wollte man wirklich etwas dagegen tun, müsste man die Justiz in die Pflicht nehmen: Dass beispielsweise Uli Hoeness wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis kam, hat nicht nur ihm wehgetan, sondern auch gegen aussen ein Zeichen gesetzt. Ins Gefängnis gesteckt gehörten nicht kleine Fische wie ich, sondern die grossen. Doch die Chancen, dass das vermehrt passiert, stehen schlecht.

 

Weshalb?
Ich hatte Kontakt mit der eidgenössischen Steuerverwaltung; sie hat nichts unternommen. Die Bundesanwaltschaft fand, meine Informationen hätten «keinen Bezug zur Schweiz». Die Steuerrekurskommission II Zürich entschied, die Daten dürften nicht analysiert werden. Als ich einvernommen wurde, habe ich Sachverhalte aufgezeigt, die man meiner Meinung nach der Stelle hätte melden müssen, die gegen Geldwäscherei vorgeht; es ist nichts passiert.

 

Aber die Schweiz hat doch angeblich das beste Anti-Geldwäschereigesetz?
Das Gesetz ist nicht das Problem, sondern die Anwendung. Solange Gesetze nicht greifen, sind sie nichts weiter als Schaufenster-Dekorationen: Schön anzuschauen, aber wirkungslos. Wer etwas zu verbergen hat, geht zu einer grossen Bank wie HSBC, und wenn tatsächlich mal einer auffliegt, dann lautet die gängige Sprachregelung, es handle sich um einen «bedauerlichen Einzelfall».

 

Das ist auch in Zeiten des automatischen Informationsaustausches noch so?
Sicher: Der Informationsaustausch wird greifen – bei den Kleinen, die CHF 50 000 oder auch CHF 70 000 auf ihrem persönlichen Namenkonto z.B. in der Schweiz haben. Aber sobald der wahre Inhaber eines Kontos verschleiert wird oder es sich um ein Offshore-Konstrukt handelt, würde man erst Genaueres sehen, wenn man den tatsächlichen wirtschaftlichen Berechtigten kennte und insbesondere den Zahlungsverkehr offenlegen könnte. Das ist aber nicht Teil des automatischen Informationsaustausches. Natürlich ist das insofern sinnvoll, als die Privatsphäre auch in Zukunft geschützt bleiben soll. Nur frage ich mich, weshalb ein Trust, ein Unternehmen oder diese Offshore-Konstruktionen eine schützenswerte Privatsphäre haben sollen. Meiner Meinung nach ist nur die Privatsphäre der Privatperson mit dem Namenkonto schützenswert.

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