Gut gemeint

Thomas Loosli

 

Ein Freund sagte mir vor einiger Zeit: «Das Gegenteil von gut ist gut gemeint». Diese Redewendung wird dem Dichter Gottfried Benn zugeschrieben. Mein Freund entpuppte sich als Fan dieses Zitats, denn er benutzte es später immer wieder. Nicht nur in politischen Diskussionen, sondern auch, um mich persönlich in schwierigen Lebenslagen zu beraten. Ich tat mich schwer mit dieser Redewendung. Möglicherweise, weil ich mich dabei ertappte, dass ich es zu oft gut meine, aber keine gute Wirkung damit erreiche. Ich habe aber auch deshalb Mühe damit, weil dieser Satz irgendwie fast wie ein Wahlspruch einer Alt-Right-Partei klingt. Es scheint eine Kritik an der linken Idee zu beinhalten und mein Freund ist politisch etwas weniger links ausgerichtet als ich. Jedenfalls geht mir das Zitat nicht mehr aus dem Kopf. Mittlerweile kommt es mir in allen möglichen Situationen in den Sinn. Zuletzt wieder, als ich gelesen habe, dass die Kurden die Stadt Ras-Al-Ain zurückerobert haben. Ich freute mich. Weniger hingegen freute mich die Tatsache, dass sie es dank der Unterstützung von Assads Truppen geschafft hatten. Darauf las ich auf meiner Facebook-Startseite ein Zitat aus der ‹Zeit›, gepostet von SP-Nationalrätin Mattea Meyer: «Von Beginn weg war klar, dass mit dem Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei Millionen von Menschen zum Spielball eines widerlichen, erpresserischen Machtspiels werden können.» Dieses Zitat zeigt den Irrsinn des Flüchtlingsabkommens, welches besagt, dass die Türkei syrische Flüchtlinge daran hindert, nach Europa durchzureisen. Im Gegenzug bekommt die Türkei die Aussicht auf EU-Beitrittsverhandlungen und Geld für die Unterbringung der Flüchtlinge. Noch mehr traf mich aber ein Kommentar zu diesem Post: «Immerhin haben die Kurden etwas richtig gemerkt: Wenn sie die Wahl haben, die EU oder das mörderische Regime von Assad um Hilfe zu bitten, dann doch lieber Assad, der ist zuverlässiger.» Die Medien und wir alle entsetzen uns über den Showdown der Grusel-Machthaber Erdogan, Putin, Trump und Assad, aber tatsächlich ist es das Regime Assads, das den KurdInnen zurzeit mehr nützt als die leeren Worte der EU oder der Schweiz.

 

Was können wir Schweizerinnen und Schweizer machen, um den KurdInnen zu helfen? Hilft es, wenn wir an die Demo «Save Rojava!» am Helvetiaplatz gehen oder gehen wir (auch) an diese Demo, weil sie einen gewissen Fun-Faktor beinhaltet, wir FreundInnen treffen und dort ein Bier trinken? Ist diese Hilfe gut oder ist sie gut gemeint? Wahrscheinlich ist es gut zu demonstrieren, weil andere Menschen von diesem Widerstand gegen die militärische Invasion Notiz nehmen. Besser wäre es noch, selber aktiv zu werden, zu spenden oder sich gar in einem Verein zu betätigen. Vielleicht nimmt man die Solidarität von EuropäerInnen auch in den kurdischen Gebieten wahr. Nur nützt sie ihnen wenig im militärischen Kampf gegen die türkischen Invasoren. Die KurdInnen haben keine Wahl. Den Syrian Democratic Forces (SDF) blieb nichts anderes übrig, als die syrische Armee um Hilfe zu bitten. Assad mag die Kurden nicht, er will ihnen auch nicht helfen, aber mit seiner Offensive gewinnt er den Einfluss in Nordsyrien zurück. Man nennt dies auch Machtpolitik. Die politische Linke hat die Tendenz, Machtpolitik nicht zu mögen, sondern sie im Gegenteil zu verurteilen. Das ist durchaus verständlich und auch ich mag Machtpolitik nicht und Machtspiele noch weniger. Aber wir müssen anerkennen, dass Machtpolitik existiert. Gut gemeint ist das Gegenteil von gut: Manchmal muss man die harten Fakten anerkennen.

 

Ein Beispiel? Man kann die USA als linksgerichtete Person doof und ultrakapitalistisch finden, aber Fakt ist, dass die USA als Hegemonialmacht über Jahrzehnte hinweg die freie, europäische Gesellschaft erhalten haben, wenn auch mit brutalen Kriegen und undemokratischen Geheimdiensteinsätzen. Ich kann mir aber trotzdem nur schwerlich vorstellen, dass viele Menschen, welche die USA kritisieren oder gar verteufeln, im Ernst lieber China oder Russland als Hegemonialmacht in der Welt sehen möchten. Warum? Weil die USA den Wohlstand und die Freiheit Westeuropas und damit der Schweiz verteidigt haben und immer noch verteidigen, auch wenn die Demokratie in den USA mit seinem Präsidenten Donald Trump zunehmend in eine Krise gerät und auch die Glaubwürdigkeit der USA als Schutzmacht demokratischer Kräfte weltweit schwindet. Die Machtpolitik der USA, der EU und der schweizerischen Regierung ermöglichen unsere freie Lebensweise und unseren Wohlfahrtsstaat. Nach dieser freien Lebensweise sehnen sich sehr viele Menschen in Asien, Afrika, Lateinamerika und anderswo. Wir Menschen helfen gerne, aber selten sind wir bereit, auf gewohnten Wohlstand zu verzichten und Privilegien abzugeben. Das ist normal und menschlich. Schwierig wird es meiner Meinung nach dann, wenn man nicht mehr ehrlich ist mit sich selbst. Deshalb lohnt es sich ab und zu, den eigenen Lebensstil, die eigenen Handlungsweisen zu betrachten und zu vergleichen mit dem, was man von anderen fordert oder wie man sich moralisch gerne sehen möchte. Die berühmte Doppelmoral haftet den meisten Menschen an. Mit anderen Worten: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viel «gut gemeint» und zu wenig «gut» haben. Aber zurück zu Rojava, den Kurden und Assad. Von ganzem Herzen wünsche ich den KurdInnen, dass sie nach über 100 Jahren Kampf einen eigenen Staat gründen und in mehr Freiheit und Wohlstand leben können. Um dies zu erreichen, brauchen sie politische Kräfte, die sie praktisch unterstützen. Dass diese Hilfe von der EU oder der NATO kommen wird, ist leider zu bezweifeln.

 

Gut gemeint muss nicht das Gegenteil von gut sein. Aber es nur gut gemeint zu haben, ist tatsächlich nicht gut genug. Um die Rechte der Frauen zu verbessern, hilft es nicht allein demonstrieren zu gehen, genauso wenig hilft es dem Klima. Besser wäre es den Weg in die Politik zu suchen. Die Politik mag desillusionierend sein, aber in der Politik wird gestaltet, sie führt doch häufig zu etwas Konkretem. Deshalb wünsche ich mir, dass ganz viele der jungen DemonstrantInnen sich in Zukunft politisch betätigen werden. Zuerst reicht es, sich an den nationalen Wahlen von 2019 zu beteiligen, denn ich hoffe, dass die rot-grüne Welle dieses Jahres nun in einen politischen Sieg umgemünzt werden kann, der neue Mehrheiten im Parlament ermöglicht. Danach können wir hoffentlich Gutes bewirken.

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