Gesellschaftskritik

Das Ende macht den Unterschied. Ritesh Batra («Lunchbox») entscheidet sich in «Photograph» gegen jede gängige Konvention und geht damit auch das klitzekleine Risiko ein, einen Teil des Publikums vor den Kopf zu stossen. Das Gros dürfte sich dadurch aber sehr viel stärker der Ernsthaftigkeit seiner im Film thematisierten Inhalte bewusst werden. Nun denn… Rafi (Nawazuddin Siddiqui) ist ein Lohnknipser beim Gateway of India in Mumbay. Er muss TouristInnen überreden, sich für ein paar Rupien mit dem Triumphbogen im Hintergrund ablichten zu lassen. Dafür trägt er extra einen mobilen Drucker mit sich herum. Ein Missverständnis führt dazu, dass Miloni (Sanya Malhotra) ihren Abzug zu zahlen vergisst und darum auch ein klein wenig in Rafis Schuld steht. Daraus entwickelt Ritesh Batra eine schwerromantische, nachgerade traumtänzerische Geschichte einer durch gesellschaftliche Konventionen verunmöglichten Annäherung. Denn weder teilen sie die gleiche Religion und schon gar nicht den gesellschaftlichen Stand, aber dafür eine Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben, wenn es darum geht, den Menschen auszusuchen, mit dem der sogenannte Rest eines Lebens verbracht werden will. Durch Milonis ‹Schuld› erklärt sie sich bereit, für Rafi die Proformafreundin zu spielen, damit dieser seiner resoluten Oma Dadi (Farrukh Jaffar, das eigentliche Ereignis des Filmes) etwas gegen ihren nachhaltig aufsässigen Druck, endlich eine Frau aus dem Dorf zu heiraten, vorzeigen kann. Natürlich ist die Oma nicht doof, aber sie geniesst, wie sehr sie von Rafi und Miloni umsorgt und betütelt wird, sodass sie die kleine Notlüge wohlweislich übersieht. Hinter all der schönen Romanze steckt die ernsthafte Klage der gesellschaftlichen Abkapselung der oberen Zehntausend gegenüber der breiten, ärmlichen Bevölkerung und natürlich die immer noch sakrosankte Methode der arrangierten Heirat – selbst über tausende von Kilometern hinweg. Der Schein zur Wahrung des Anstandes steht hier über allem individuellen Begehren also Glück und dagegen begehrt dieser Film auf. Durch die Blume, aber mit Nachdruck.

 

«Photograph» in den Kinos Arthouse Movie, Houdini.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.