Freiheit nur mit Gerechtigkeit

Freiheit nur mit Gerechtigkeit An dieser Stelle präsentieren wir jene KandidatInnen aus dem links-grünen Spektrum, die als Neue entweder die Spitze der Liste einnehmen oder eine realistische Chance besitzen, gewählt zu werden. Diese Woche ist das der Ethiker und Gemeinderat Jean-Daniel Strub, der als zweiter Neuer auf dem 10. Platz der SP-Liste antritt. Nicole Soland Beruf: Ethiker. Im ersten Moment tönt das schwer nach «Elfenbeinturm». Oder wer weiss schon, was ein Ethiker den ganzen Tag lang macht? Jean-Daniel Strub, aufgewachsen in Zürich, hat in Genf ein Theologiestudium abgeschlossen. Dort ist er auch der SP beigetreten. Seine Dissertation schrieb er am Ethik-Zentrum Zürich. «Seither war ich stets an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik tätig», erzählt er. Im Rahmen eines Stipendiums der Stiftung Wissenschaftliche Politikstipendien, deren Geschäftsführer er heute ist, arbeitete er ein Jahr bei den Parlamentsdiensten im Bundeshaus. Danach war er unter anderem Geschäftsleiter der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin. Unterdessen hat er sich mit einem Ethik-Büro selbstständig gemacht. Seine tägliche Arbeit besteht in Beratungen, in denen ethische Fragen im Mittelpunkt stehen, wie beispielsweise Chancen und Risiken neuer Technologien oder Fragestellungen der medizinischen Ethik. Daneben moderiert und publiziert er viel; jüngst hat er zusammen mit P.S.-Verlegerin und Nationalrätin Min Li Marti ein Buch über den Begriff der Freiheit herausgegeben. Würde er je den Beruf wechseln wollen, dann wäre der Fall klar – er würde Lehrer werden: «Ich unterrichte gern, vor allem im Weiterbildungsbereich und an Fachhochschulen, wo man praxisnah unterwegs ist.» Nähe zur Bundespolitik Für Jean-Daniel Strub sind neben der parlamentarischen Arbeit und dem «Verständnis für die impliziten und expliziten Regeln unserer Demokratie» auch Verbindungen zu sozialen Bewegungen wie aktuell zu den Klimastreikenden zentral für eine lebendige Demokratie, und zwar längst nicht nur, weil SozialdemokratInnen solche Verbindungen traditionell stärker gewichten als Mitglieder anderer Parteien. Nichtsdestotrotz wird der SP und insbesondere ihren Intellektuellen immer mal wieder vorgeworfen, sie seien zu weit weg von den ‹kleinen Leuten› und dem, was diese beschäftigt. Solche Kritik nimmt Jean-Daniel Strub ernst und ist froh um die Erfahrungen, die er selbst an seinen beruflichen Stationen – auch in den Nebenjobs neben dem Studium oder im Zivildienst – sammeln konnte. Er gibt aber auch zu bedenken, dass man durchaus die politischen Interessen von Menschen vertreten kann, deren Biographie und Lebenswelt auf den ersten Blick kaum mit der eigenen übereinstimmen: «Ich bin auch nicht der Meinung, dass sich nur Eltern von Kleinkindern mit politischen Fragen der Kinderbetreuung befassen dürfen.» Und was die Distanz der PolitikerInnen zum ‹Fussvolk› betreffe, sei sie längst bei allen Parteien ein Thema: «Aber natürlich ist es legitim, der SP diesbezüglich besonders genau auf die Finger zu schauen.» Jean-Daniel Strub ist seit dem 23. Oktober 2008 Mitglied des Zürcher Gemeinderats und war fast durchgehend in der Spezialkommission Präsidialdepartement, Schul- und Sportdepartement tätig, die er zurzeit präsidiert. Zudem war er acht Jahre Vizepräsident der SP-Fraktion. Weder dies noch sein grosses Engagement für die Tagesschule, die an der Urne mit über 70 Prozent Ja-Stimmen durchkam, lassen den Verdacht aufkommen, es gefalle ihm nicht mehr im städtischen Parlament. Wieso also will er nach Bern? Er habe schon immer eine grosse Nähe zur Bundespolitik gehabt, fühle sich in der ganzen Schweiz zuhause und mache auch gern Politik über Sprachgrenzen hinweg, erklärt Jean-Daniel Strub. Das dürfte ihm leichter fallen als anderen, denn er ist zwar nicht im klassischen Sinne zweisprachig aufgewachsen, aber in seiner Familie wurde stets auch Französisch gesprochen, viele seiner ArbeitskollegInnen und sein Geschäftspartner sind Romands, und er hat längere Zeit in der Westschweiz gelebt. Bildung und Gleichstellung In der Bildungspolitik beschäftigen ihn nicht nur die Volks- und die Tagesschule, sondern auch die Rahmenbedingungen für die Berufsbildung und insbesondere der duale Weg, den es zu stärken gelte. Doch auch die Hochschulen seien wichtig für eine zukunftsfähige Schweiz: «Die Wissenschaft liefert beispielsweise die Grundlagen und Modellberechnungen, die dafür sorgen, dass wir hier und im Ausland beim Klimaschutz rasch weiterkommen.» Die internationale Zusammenarbeit, die Friedenspolitik oder die Zukunft der Sozialwerke treiben ihn ebenfalls um – alles Themen, die nicht im Zürcher Rathaus abschliessend behandelt werden, sondern in Bern. Ob Innovation in der Politik, Weiterdenken der Demokratie oder Digitalisierung: Jean-Daniel Strub geht es darum, «agil zu bleiben und Chancen zu nutzen», um Politik und Verwaltung veränderungsoffen zu halten und nicht zuletzt mehr Teilhabe, mehr Austausch mit der Bevölkerung und so mehr Akzeptanz zu erreichen. In Bern will er sich für eine soziale Schweiz einsetzen, frei nach dem Motto «keine Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit»: «Wir müssen uns immer fragen, ob das, was die Politik beschliesst, die Freiheit für alle erhöht oder nur für die Privilegierten.» Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld ist die Gleichstellungspolitik. Er ist unter anderem Vizepräsident von Männer.ch, dem Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen der Schweiz: «Ich bin überzeugt, dass es jetzt auch von uns Männern ein viel grösseres Engagement für echte Gleichstellung braucht, um die überfälligen und so dringlich eingeforderten Verbesserungen zu erzielen.» Er hat in diesem Bereich verschiedentlich Vorstösse in Zürich eingereicht, ist im Komitee der kantonalen Elternzeitinitiative, und es ist ihm wichtig, das auch persönlich zu leben – «in gleichberechtigter partnerschaftlicher Aufteilung und als präsenter Vater in meiner Familie». So ist Jean-Daniel Strub auch überzeugt, «dass der Einsatz für mehr Gleichstellung auch mehr Freiheit für alle bringt», und dafür möchte er sich in Bern einsetzen.

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