Frech! Oder?

Da wo ich wohne, geht es ziemlich steil bergauf. Wenn ich dicke einkaufe, lasse ich daher Schweres und Sperriges am Strassenrand stehen, damit ich es vom Parkplatz aus nicht allzuweit tragen muss. Ich plane strategisch, was ich zuerst die Stufen zu meiner Haustür hochschleppe: Was kann beim besten Willen nicht auch noch mit? Was lohnt keinen Diebstahl? Was ist so verpackt, dass es einen Regenschauer verträgt? So liess ich einst ein 32-er Pack WC-Papier zurück. Was aber sah ich bei meiner Rückkehr?

 

Einen Hundehalter, der eilends an der einen Hand seinen Wuffi und an der anderen mein Klopapier spazieren führte. Da ging mein Besitzer-Instinkt mit mir durch: «He, hallo – was soll das? Lassen Sie das stehen, das ist meins!», krähte ich die Böschung hinunter. Und er: «Wie bitte? Hastse nicht alle? Ich stell das ja bloss mal … hier ein paar Meter weiter unten vors Gartentor, weil … das gehört ja wohl dorthin, und … hier ist ja kein Eingang, oder? Also, ich klau sicher kein Scheisspapier, soweit kommts noch! Blöde Kuh, da nimm doch deinen Arschwisch!» – und warf es in hohem Bogen mitten auf die Strasse. Da war ich perplex!

 

Ein delikates Thema: WC-Papier … das erinnert mich ans Italien meiner Jugend. Da gab es überall noch Stehklos. Und in jedem davon handschriftlich krakeelte Schilder «Non gettare carta!!» («Kein Papier hineinwerfen!!). Mein teenagermässig bornierter Lebenshorizont gestattete mir kein korrektes Verständnis dieser simplen Regel. «Wo soll das WC-Papier denn sonst hin?», dachte ich mir (indem ich, selektiv erblindet, den Treteimer in der Ecke übersah). «Die meinen sicher, ich soll keine Papierhandtücher, Speisekarten oder Zeitungen ins Klo werfen – weiss ich doch, bin ja nicht von gestern.» So kann eine sich täuschen. Ausserdem waren in Italien alle Autos rostig und zerbeult, und es brauchte Todesmut, um zu Stosszeiten eine mittlere Strassenkreuzung in der Provinz zu überqueren.

 

Danach plagt mich neuerdings ein unbegreifliches Heimweh, und ich muss alle die Inseln wieder aufsuchen, wo ich das damalige, mein ursprüngliches Italien noch zu finden hoffe. Damals war es ein Allgemeinplatz, dass einem im Süden von Nichtsnutzen der Stuhl unter dem Arsch weg geklaut oder getrocknete Hundescheisse als Reliquie verkauft werde. Nun – die Nepperei findet heute ja landesunabhängig im Internet statt. Es fühlt sich also folgerichtig an, als ich im online reservierten Appartement ankomme und feststelle: Statt lichtdurchflutet, luftig und geräumig ist es winzig, hat kaum Fenster und lauter windschiefe Möbel; unten stinkt es nach Abgas und oben nach Kanalisation und Schimmel. Dass es auch recht schmuddelig ist, erweist sich als Glück: Die klaustrophobische Muffigkeit brauche ich gar nicht zu erwähnen, denn die padrona di casa ist in ihrer Ehre getroffen, als sie merkt, dass sie tatsächlich die falsche Wohnung hat putzen lassen. Sie besteht darauf, mich zum gleichen Preis in eine wesentlich grössere, stiller und grüner gelegene – dafür aber saubere – Wohnung umzuquartieren.

 

So viel Glück im Unglück versöhnt mich auch mit dem Verkehr, der sich hier – man würde es nicht für möglich halten – in den letzten 15 Jahren etwa verdreifacht hat. Die Autos fahren mir in den engen Gassen nur knapp nicht über die Zehen; dafür gehe ich mit der Handykamera erst dann von der Strasse runter, wenn jemand hupt. Frech! Oder?

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