Falsch erzählt ist die Demokratie schnell gekreuzigt

Die Sitzverluste der SP Schweiz liegen eindeutig bei den Gewerkschaften – das schleckt keine Geiss weg. Es waren angekündigte Abwahlen, zum Beispiel am 8. Dezember 2018. An diesem Abend wurde das Schicksal des engagierten Gewerkschafters Corrado Pardini im SRF besiegelt. Diese ‹Arena›-Sendung ist exemplarisch für das monatelang von SRF gepflegte Narrativ «alter Mann und Gewerkschafter gegen junge, moderne Frau». Pardini war argumentativ extrem stark, doch die Bildersprache, die das Framing politischer Debatten formt, machte jedes Argument zunichte. Da standen zwei alte, dickbäuchige Männer gegen die dauerlächelnde Grünliberale Tiana Angelina Moser und die junge PR-Profi der Operation Libero, Laura Zimmermann. Fortan ging es SRF kaum um Inhalte bei den Polit-Talks, sondern um die Show, die Polarisierung und schöne Bilder mit jungen Frauen. An diesem Grundrauschen beteiligte sich monatelang auch der Umfragemonopolist Michael Hermann, der seine grünliberal angehauchten Politprodukte fast allen deutschschweizerischen Medien verkauft. Mit sehr abenteuerlichen und wackeligen Datengeschichten wird so massenmedial das Märchen von den unmodernen Gewerkschaften, der veralteten Sozialdemokratie und den verknöcherten Genossen eifrig weitergestrickt.

 

Dahinter steckt System. Es gibt keine junge oder auch ältere SP-Powerfrau, die die Gewerkschaftsanliegen wie flankierende Massnahmen, Demokratie allgemein, Arbeitslosenschutz, Sozialhilfe, AHV-Ausbau, Mitsprache in den Betrieben etc. medial vertritt. So wird sogar Lohngleichheit als grünes oder gar grünliberales Anliegen medial verkauft. Der Auftritt der grünen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber und von Flavia Kleiner am 25.10.2019 in der SRF-‹Arena› sprach diesbezüglich Bände. Zudem dominiert in allen politischen Mediendebatten der antidemokratische, leicht identitär angehauchte Schrott, dass eine «Demokratie nur dann eine Demokratie ist, wenn sie die Bevölkerung repräsentiert». Die ‹Republik› hat im Vorfeld der Wahlen sogar einen Wahlidentitär lanciert, bei dem man und frau Kandidierende wie bei Tinder wegwischen kann. Zur Erinnerung: Die Identität zwischen Regierenden und Regierten zu behaupten, ist totalitär.

 

Falsch erzählt ist die Demokratie extrem schnell gekreuzigt, da ändert auch der Hype um die Frauenwahl nichts daran. Denn selbst diese wird medial als Biologie, als Reality-TV-Show, als Hyperlink- und Hashtag-Erfolg gefeiert. Unfassbar. Dabei sieht die Wirklichkeit völlig anders aus: Nur dank SP und Gewerkschaften kam es am 14. Juni zum erfolgreichen Frauenstreik, doch medial war davon wenig, dafür von «Pussyhatschwumm bis Klitoris-Wanderung» alles zu hören und zu sehen. Und wenn dann bei diversen Wahlanalysen behauptet wird, vor allem die Jungen und die Frauen wurden mobilisiert – was bei einer Wahlbeteiligung von 45,1 Prozent nur sehr schwer zu beweisen ist –, dann wird einmal mehr übersehen, dass es wahrscheinlich die Frauen über 50 waren, die angesichts ihrer realen Situation die Schnauze voll haben von den ewig gleichen Männerfiguren. Ebenso wie die Wahrheit, nämlich dass die Frauenwahl vor allem den Gewinnen der linken und grünen Frauen zu verdanken ist, wird einmal mehr verleugnet. Die paar Frauensitze auf bürgerlicher Seite werden dafür überproportional gehypt, als ob hier die Revolution stattgefunden hätte, dabei waren nur zum erstenmal seit Einführung des Frauenstimmrechts bei den Bürgerlichen endlich gute Frauenlistenplätze überhaupt vorhanden.

 

Die permanente kommunikative Revolution, die ich mit «Trumpismus» kennzeichne, hat zur Folge, dass die SRF-Umfragen mittlerweile wie Ratingagenturen für Politisierende funktionieren. Und wer die politische Ausrichtung dieser Ratingagenturen kennt, weiss, dass hier Gewerkschaftsanliegen und Politisierende, die diese vertreten, kaum noch Chancen haben. Diese Verschiebung von Fiktion zu Wirklichkeit betrifft die Gewerkschaften ganz massiv; doch erstaunlicherweise will sich diesem Thema innerhalb der Gewerkschaften kaum jemand stellen.

 

Am 20. 10.2019 wurden die Gewerkschaften abgewählt. Dies hängt direkt mit der fehlenden und kreuzfalschen Medienpolitik der Gewerkschaften sowie den digitalen Revolutionen und den Umfragefiktionen zusammen. Also wäre nichts einfacher und Sitze 2023 wiederzugewinnen, indem man sich endlich neuen Erzählungen von Gerechtigkeit, Solidarität und demokratischen Freiheiten widmet. Denn, dies zum optimistischen Schluss: Die SP Schweiz hat angesichts der grossen medialen Widerstände die Wahlen 2019 trotzdem sehr gut geschultert. Denn es hätte wie in Frankreich und Deutschland noch tausendmal schlimmer werden können.

 

Regula Stämpfli

Dr.phil/Dipl. Coach Regula Stämpfli ist Politik-Dozentin (Uni St. Gallen) und Bestseller-Autorin. Ihr neustes Buch «Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt» wurde für den österreichischen Nationalfeiertag als «Radiostück wider den Populismus» im ORF uraufgeführt.

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