«Es könnte jemand ohne eigenes Verschulden abgewählt werden»

Bei den Stadtratswahlen in Illnau-Effretikon vom 15. April werden erstmals nur noch sieben statt neun StadträtInnen gesucht. Es kandidieren acht Bisherige und drei Neue. Ohne HerausfordererIn ist hingegen Stadtpräsident Ueli Müller (SP). Wie er die Chancen seiner Partei einschätzt und was Illnau-Effretikon in den nächsten vier Jahren hauptsächlich beschäftigen wird, erklärt er im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Die Reduktion von neun auf sieben StadträtInnen haben einige kleinere Städte im Kanton schon hinter sich; nicht überall klappte es im ersten Anlauf. Wie viele brauchte es in Illnau-Effretikon?

Ueli Müller: Es dauerte seine Zeit, bis das Vorhaben im Stadtrat mehrheitsfähig war. Wir sind unterdessen eine der letzten Gemeinden, die noch neun Exekutivmitglieder haben. Entsprechend gab es schon auch Druck aus dem Parlament. Vor drei Jahren haben wir das Thema dann an einer Klausur besprochen. Danach haben wir die Reduktion auf sieben StadträtInnen inklusive PräsidentIn dem Parlament beantragt. Dort kam sie durch, und die Stimmberechtigten nahmen sie sehr deutlich an. Wie sich sodann herausstellte, war die Reduktion auf sieben Sitze jedoch beileibe nicht das Schwierigste an dieser Übung.

 

Sondern?

Wir hatten bis jetzt neun StadträtInnen und elf Verwaltungsabteilungen, das heisst, zwei Exekutivmitglieder betreuten zwei Abteilungen. Wir entschieden nun, dass künftig jede Stadträtin und jeder Stadtrat eine Abteilung führen würde, weshalb wir aus den bestehenden elf Abteilungen deren sieben machen mussten.

 

Wie löste der Stadtrat diese Aufgabe?

Wir legten die Abteilungen Finanzen und Steuern zum neuen Ressort Finanzen zusammen und siedelten darin auch das Betreibungsamt an, das bisher zum Präsidialdepartement gehörte. Die Abteilung Gesundheit konnten wir aufheben, weil wir das Alterszentrum vor ein paar Jahren in eine öffentlich-rechtliche Anstalt umgewandelt haben. Die restlichen Aufgaben der einstigen Abteilung zum Thema «Alter» nimmt nun das Ressort Gesellschaft wahr, das früher «Soziales» hiess. Das Abfallwesen und der Naturschutz gehören neu zum Ressort Tiefbau. Ebenfalls aufgelöst wird die Abteilung Jugend und Sport, wobei der Teil «Jugend» neu zum Gesellschaftsressort gehört. Der Teil «Sport» umfasst hauptsächlich das Sportzentrum und ist neu im Hochbauressort zuhause. So kommen wir auf die sieben Ressorts Präsidiales, Bildung, Hochbau, Tiefbau, Gesellschaft, Sicherheit und Finanzen. Diese Neuregelung tritt im kommenden Juli in Kraft.

 

Bei den Wahlen vom 15. April treten acht Bisherige und drei Neue an. Mindestens eine Bisherige oder ein Bisheriger muss somit den Sessel räumen.

Die Wahlen und auch der Wahlkampf sind spannender als auch schon, das stimmt. Aktuell sind je drei Mitglieder von SP, SVP und FDP im Stadtrat. Die SVP bringt neu einen Vertreter aus dem Dorf Kyburg, das seit 2016 zu Illnau-Effretikon gehört; die dortigen Stimmberechtigten nehmen erstmals an den Wahlen bei uns teil. Bei der FDP gehört einer der drei Bisherigen zu den Jungliberalen, die bei uns relativ stark sind: Im Grossen Gemeinderat haben sie drei Sitze, die FDP hat fünf. Die SVP schwingt im Grossen Gemeinderat obenaus, die SP hat sieben Sitze und ist damit zweitstärkste Partei. Unser Ziel sind acht Sitze im Parlament und weiterhin drei Sitze im Stadtrat.

 

Angesichts der speziellen Situation hätte die SP auch gleich auf tutti gehen und mit vier KandidatInnen antreten können.

Wir sind nicht die Stadt Zürich! Selbst in Winterthur haben es die GenossInnen nur knapp geschafft, den dritten Sitz zurückzuerobern, und in Uster dürfte es hoffentlich gelingen, den dritten Sitz zu verteidigen. Für eine Agglomerationsgemeinde sind aber drei von sieben Sitzen für eine Partei schon relativ viele. Weil keineR der bisherigen SP-StadträtInnen zurücktreten wollte, treten wir aber dennoch mit drei Kandidat-Innen an.

 

Wie schätzen Sie die Chancen der SP ein, ihre drei Sitze zu verteidigen?

Die sind intakt. Wären weiterhin neun Sitze im Stadtrat zu besetzen, würde ich sagen, dass sicher alle wieder gewählt würden, aber wegen der Reduktion auf sieben Sitze sind relativ viele Konstellationen möglich. Es könnte jemand ohne eigenes Verschulden abgewählt werden.

 

Gibt es keinen Wackelkandidaten beziehungsweise eine Wackelkandidatin, der oder die wegen eines umstrittenen Geschäfts mehr Mühe haben könnte als die anderen?

Höchstens Mathias Ottiger von der SVP: Es gab eine Aktion mit einem anonymen Inserat, in dem dazu aufgerufen wurde, nur Bürgerliche zu wählen – und mich zum Stadtpräsidenten, quasi als linkes Feigenblatt. Später kam dann aus, dass Ottiger dahinter steckte. Dass er allein wegen dieser Episode nicht mehr gewählt wird, glaube ich allerdings nicht.

 

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem zweiten Wahlgang kommt?

Schwer zu sagen: Vielleicht ist nach dem ersten Wahlgang alles klar, vielleicht sorgen aber auch die Grünliberalen für Spannung. Mit dem Naturwissenschafter Erik Schmausser bringen sie einen ernsthaften Kandidaten, der sich als «Vertreter der Mitte» anpreist. Da die GLP im Gemeinderat mit den Grünen eine Fraktion bildet, unterstützen letztere ihn auch, ebenso wie die CVP und die EVP. Das ist aus SP-Sicht schade, denn die Grünen taten sich bei den Wahlen bis anhin stets mit uns zusammen. Dennoch gehe ich davon aus, dass unsere Sicherheitsvorsteherin Salome Wyss und unser Sozialvorsteher Samuel Wüst wiedergewählt werden.

 

Immerhin greift niemand das Stadtpräsidium an: Mit Ihnen und Ihrer Arbeit ist man offensichtlich zufrieden.

Es sieht so aus. Zwar ist der Stadtrat einigen Bürgerlichen zu links – obwohl wir drei gegen sechs Bürgerliche keine Mehrheit hatten, konnten wir doch recht viel von dem durchbringen, was auch für uns akzeptabel war. Doch das ging nur, weil die bürgerlichen StadträtInnen einigermassen kooperationswillig waren. Je nachdem, wer gewählt wird, könnte sich das ändern. Für uns ideal wäre es denn auch, wenn die Parlamentsmehrheit nach links kippte, denn der Stadtrat ist aktuell fortschrittlicher gestimmt als das Parlament. Eine Mitte-Links-Mehrheit wäre toll, denn zurzeit haben FDP und SVP 19 von 36 Sitzen. Vor allem die SVP-Fraktion stimmt sehr diszipliniert ab, kaum jemand lässt sich mit guten Argumenten dazu überzeugen, mal mit Mitte-Links zu gehen. Im Gemeinderat ruhen unsere Hoffnungen deshalb auf der CVP, der EVP, der GLP und der BDP. Sie haben uns beispielsweise in der letzten Steuerdebatte dabei unterstützt, den Steuerfuss nur um zwei statt um vier Prozentpunkte zu senken.

 

Kommen wir zu den Themen, die den Stadtrat in den kommenden vier Jahren beschäftigen werden. Seit dem gescheiterten Projekt «Mittim» ist einige Zeit vergangen: Steht die Stadtentwicklung nach wie vor im Vordergrund?

«Mittim» entstand noch unter dem damaligen Stadtpräsidenten und späteren Regierungsrat Martin Graf. Das Projekt für die Neugestaltung des Effretiker Zentrums sollte von einem Privaten realisiert werden, dem Unternehmer Hans Hänseler. Sein Plan setzte allerdings voraus, dass alle 30 GrundstücksbesitzerInnen im Perimeter mitmachten, den «Mittim» umfasste. Das stellte sich als Fehlannahme heraus: Fünf von ihnen stellten sich quer. Auch die geplanten Hochhäuser stiessen auf Widerstand. Schliesslich starb Hänseler mit fast 80 Jahren und mit ihm auch «Mittim». Als ich 2011 zum Stadtpräsidenten gewählt wurde, habe ich das Projekt neu aufgegleist. Dafür habe ich zuerst mit allen EigentümerInnen darüber gesprochen, ob sie an einer Entwicklung ihrer Grundstücke überhaupt interessiert seien.

 

Und das hat funktioniert?

Dieses pragmatische Vorgehen führte dazu, dass wir für das neue Zentrumsprojekt wirklich nur mit jenen EigentümerInnen geplant haben, die sich bereit erklärt haben, mitzumachen. Die Parzellen aller anderen haben wir ausgespart. Damit entfiel das Risiko von Blockaden, wie sie Rekurse schnell mal erzeugen können. So ist der Masterplan «Bahnfhof West» entstanden, den der Stadtrat im Januar beschlossen hat.

 

Der Masterplan weist eine Einteilung in verschiedene Baufelder auf, und für jedes Baufeld gibt es einen privaten Gestaltungsplan. Über die Gestaltungspläne hat das Parlament zu befinden, und dagegen kann das Referendum ergriffen werden. Sie haben aber umgekehrt den Vorteil, dass das Projekt dadurch etappierbar ist und die Grundbesitzer-Innen es selber weiterentwickeln können. Eine Parzelle gehört beispielsweise der Habitat 8000 AG. Hinter diesem Immobilienunternehmen stehen einige Stadtzürcher Wohnbaugenossenschaften. Die AG wird denn auch preiswerte Wohnungen bauen sowie den «Stadtgarten», den geplanten Grünraum mitten im Zentrum. Das ist natürlich ein Glücksfall, und wir hoffen sehr, dass alles so gelingt wie geplant.

 

Höher gebaut und verdichtet wird somit trotzdem?

Ja, das Zentrum soll urbaner, dichter und höher werden. Das unterstützen auch der Kanton und die Regionalplanung als «sinnvoll» für ein Gebiet rund um einen Bahnknotenpunkt wie den Bahnhof Effretikon. Die Frage ist natürlich, ob die Politik und die Bevölkerung da wirklich mitmachen wollen. Für die ansässige Bevölkerung ist es eher eine schwierige Geschichte. Zumal es mit dem Masterplan Bahnhof West ja noch nicht getan ist: Es folgt der Masterplan Bahnhof Ost, der vor allem Wohnen und etwa 30 Prozent Gewerbe vorsieht. Im Westen, dem gewachsenen Zentrum, ist es uns wichtig, dass es weiterhin Läden hat, dass uns die alteingesessenen Geschäfte und die Detailhändler erhalten bleiben. Die Industriezone hingegen, die zur Autobahn Richtung Winterthur hin festgelegt wurde, ist wirklich fürs Gewerbe gedacht, auch fürs Kleingewerbe. Entsprechend sollen dort die Bodenpreise möglichst tief bleiben. In jener Gegend wollen wir deshalb keine Grossverteiler haben: Diese gehören ins Zen-trum. Wir streben eine andere Entwicklung an als zum Beispiel Dietlikon oder Volketswil.

 

Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft: Wohin des Weges, Illnau-Effretikon?

In den letzten vier Jahren hat sich die finanzielle Lage unserer Stadt erholt, weshalb ich diesbezüglich zuversichtlich in die Zukunft blicke. Wir konnten Schulden abbauen und den Steuerfuss wie erwähnt um zwei Prozentpunkte auf 113 Prozent senken. Beschäftigen wird uns auch in den nächsten vier Jahren insbesondere die Revision der Bau- und Zonenordnung: Wir müssen auch ausserhalb des Zentrums verdichten. Ein gewisser Widerstand dagegen lässt sich nicht von der Hand weisen; damit müssen wir uns auseinandersetzen.

 

Und was steht abseits des Zentrums an?

Seit dem Zusammenschluss mit Kyburg 2016 nimmt der «ländliche» Teil unserer Stadt mehr Raum ein: Zwar sind dadurch nicht sehr viele EinwohnerInnen zusätzlich zu uns gestossen, aber unser Stadtgebiet hat flächenmässig doch um einiges zugenommen. Dieses zusätzliche Gebiet muss genauso unterhalten, mit neuen Leitungen versehen, vom Schnee geräumt werden etc. wie das angestammte Gebiet. Zudem ist auch Illnau stark gewachsen. Es braucht dort zusätzliche Schulräume samt Dreifachturnhalle und anschliessend folgt dann die Sanierung des Oberstufenschulhauses in Effretikon. Auch ein neues Werkgebäude muss gebaut werden, bald ist ein Kindergarten zu renovieren, kurz: Uns geht die Arbeit so schnell nicht aus!

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