«Es handelt sich um ein kollektiv verursachtes Problem»

In den letzten Monaten hat die Klimathematik einen starken Aufschwung erfahren. Martin Neukom erklärt im Gespräch mit Milad Al-Rafu unter anderem, was er vom Klimanotstand hält, und wie er mit den Widersprüchen einer grünen Politik umgeht.

 

Milad Al-Rafu

 

Ende letzten Jahres erschien der achte Umweltbericht des Regierungsrates, dessen Ergebnisse Sie und ihre Partei stark kritisierten. Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Martin Neukom: Es bestehen diverse Kritikpunkte – am Drängendsten ist die Abnahme der Biodiversität und das Artensterben. Das Tragische daran ist, dass die Regierung in ihrem Bericht eigentlich aufzeigt, in welchen Bereichen es zu handeln gilt, selbst aber keine konkreten Massnahmen präsentiert. Zudem macht die Regierung im Bereich Klimaschutz deutlich zu wenig.

 

Im Rahmen der Klima-Demos wurden den beteiligten SchülerInnen von bürgerlicher Seite vorgeworfen, dass sie mit ihrem Konsumverhalten selbst zum Problem beitragen würden. Kann die notwendige Reduktion des CO2-Ausstosses gemäss Klimaziele überhaupt über das individuelle Verhalten erreicht werden?
Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um einen Trick der Rechten, um die Verantwortung abzuschieben – gemäss dem Motto, «man darf sich nur zum Klima äussern, wenn man ökologisch perfekt lebt». In der Schweiz zu leben, ohne einen ökologischen Fussabdruck zu hinterlassen, ist jedoch unmöglich. Seit 35 Jahren weiss man schon vom Klimawandel und in dieser Zeit hat der Ansatz, dieses Problem auf der Ebene der Eigenverantwortung zu lösen, nicht funktioniert: Klar ist es gut, wenn man versucht, mit seinem persönlichen Konsum Emissionen zu vermeiden. Diese immense Herausforderung können wir jedoch ohne politische Anstösse und Regulierungen nicht bewältigen. Denn es handelt sich um ein kollektiv verursachtes Problem, das wir nur im Kollektiv lösen können.

 

Die Grünen im Kanton Zürich haben nun einen Vorstoss eingereicht, um die CO2-Rückgewinnung zu fördern. Besteht bei neuen Technologien nicht das Problem, dass man sich eine zu einfache Lösung davon erhofft, währenddessen der Weg zur Klimaneutralität wohl nur über Verzicht zu erreichen ist?
Im Grundsatz muss man vorsichtig sein, von neuen Technologien die Lösung des Problems zu erwarten. In den 1950er-Jahren gab es ja auch eine Atomeuphorie, deren Schattenseiten sich erst später zeigten. Wir haben den Vorstoss zur CO2-Rückgewinnung eingereicht, weil es im Klimaschutz relevant ist, unter der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben: Ab einer Erwärmung der globalen Temperatur um zwei Grad besteht das Risiko eines sich selbstverstärkenden Klimawandels. Deshalb halten wir es für sinnvoll, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Mit der CO2-Rückgewinnung könnten wir etwas Zeit gewinnen. Der politische Fokus liegt aber darin die Emissionen auf null zu reduzieren.

 

Der Umweltbericht zeigt auf, dass im Bereich der Strassenlärmsanierung sehr wenig gemacht wurde. Ist es gleichzeitig nicht problematisch, dass im Zuge von Lärm- und Gebäudesanierungen die Mieten steigen?
Es ist generell ein riesiges Dilemma, dass die Mieten steigen, wenn Städte attraktiver gemacht werden. Die Eindämmung des Strassenlärms etwa, die durch den neuen Rosengartentunnel erzielt werden soll, wird eine Verdrängung der alten Mieter zur Folge haben. Bei anderen Gebäudesanierungen läuft das ähnlich. Die beste Lösung gegen steigende Mietpreise liegt darin, überall dort, wo es möglich ist, Wohnungen dem Markt zu entziehen: Genossenschaften sollen gefördert werden – denn das bestehende Mietrecht schafft es schlicht nicht die hohen Mieten zu verhindern.

 

Was halten Sie vom Ausruf des Klimanotstandes, den die SchülerInnen an den Klima-Demos gefordert haben?
Der Ausruf des Klimanotstand ist wichtig, da so das tatsächliche Ausmass der Krise zum Ausdruck gebracht wird. Ausserdem setzt diese Forderung die Politik unter Druck. Die Definition und Konsequenzen des Klimanotstandes sind jedoch noch nicht klar. Im Moment handelt es sich deshalb um einen symbolischen Akt, der wichtig ist, jedoch nicht ausreicht, um das Problem in den Griff zu bekommen.

 

In Bern wurde am Sonntag das Gesetz zur kantonalen Umsetzung der nationalen Energiestrategie abgelehnt. Anscheinend sind die Leute im Abstrakten für eine klimafreundlichere Energiepolitik, im Konkreten scheiterten die Bemühungen immer wieder. Woran liegt das?
Ich finde es sehr schade, dass wir den Kampf in Bern verloren haben. Es waren jedoch nur 3000 Stimmen, die den Unterschied gemacht haben. Man muss sich bewusst sein, dass es beim Klimaschutz um sehr viel Macht und Geld geht: Alle Personen, die in der ‹alten Wirtschaft› tätig sind – Ölheizungsbau, Ölvertrieb, Gas, etc. – werden im Zuge des fortschreitenden Klimaschutzes als Verlierer dastehen: Bei Erreichen der Klimaziele wird es Swissoil zum Beispiel nicht mehr geben. Gleichzeitig werden natürlich neue Stellen geschaffen, etwa im Bereich der erneuerbaren Energie, Energieeffizienz oder Gebäudetechnik. Der Widerstand dieser finanzstarken Gegner, wie zum Beispiel Economiesuisse erschwert jedoch die Verabschiedung von griffigen Massnahmen.

 

Wäre dann eine transparente Parteienfinanzierung nicht ein Mittel im Kampf gegen den Klimawandel, da so die Interessensbindung gewisser Politiker und Parteien offengelegt werden würde?
Das ist ein spannender Gedanke. Ich unterstütze die nationale Transparenz-Initiative, die die Parteien verpflichtet, ihre Finanzen offenzulegen. Aus den USA kennt man ja den immensen Einfluss, den etwa die Tabak- oder Erdöllobby auf die Politik hat. In der Schweiz gibt es ähnliche Interessen, auch wenn wir keine eigenen Öl-Firmen haben. Es wäre interessant zu sehen, wie die Finanzierung hinter den Kulissen abläuft. Denn am Schluss geht es in der Politik sehr häufig um handfeste Interessen.

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