Einfach so! Einfach so?

Nach Hannah Arendt (Buchstaben) und Gus Van Sant (Zelluloid) versucht Milo Rau, mit den Mitteln einer theatralen Tatrekonstruktion der Befremdung über die Banalität des Bösen Ausdruck zu verleihen – oder doch nicht?

 

Es gibt kaum weniger befriedigende Forschungsfelder als die Bereitschaft zur Gewaltanwendung, die aus keinem ersichtlichen Motiv stattfindet. Das Auffächern einer Vielzahl von potenziell möglichen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen, die eine ‹einfach so› ausgeführte Bluttat kontextualisieren könnten, ist letztlich die zwanghafte Weigerung, eine Ohnmacht anzuerkennen. Und das forcierte Behaupten einer inexistenten Hoffnung. Eine Ersatzhandlung, die individualtherapeutisch möglicherweise Sinn stiftet, wo jedes Anzeichen von Sinn fehlt. Für die Bevölkerung der belgischen Stadt Liège wurde die Bluttat am jungen Schwulen Ihsane Jarfi im April 2012 zum kollektiven Schock. Die drei geständigen Täter, die den nackten Körper nur halb totgeprügelt und geschändet dem langsamen Verrecken überliessen, hatten offenbar überhaupt kein Motiv, was die empfundene Grausamkeit nur steigert. Ob Milo Raus These des Theaters als Gruppentherapieraum durch das dortige Verhandeln von gesamtgesellschaftlicher Mitverantwortung erfüllen kann oder dazu überhaupt befähigt ist, darf infrage gestellt werden. Bei «Die Wiederholung» ist man zum Schluss so klug wie schon zuvor, denn die Ankündigung, Sinn zu suchen, wo kein Sinn zu finden ist, bleibt hier eine reine Kunstvolte. Der Vergleich mit Beispielen aus der Theatergeschichte, in denen das Publikum mit krassen Mitteln der Überantwortung zuletzt eines ganzen Menschenlebens eines Schauspielers zur Entscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln genötigt wird, ist darstellerisch effektiv, aber inhaltlich nicht das exakte Äquivalent. Wenn sich ein Schauspieler einen Strick um den Hals hängt und das Publikum auffordert, ihm zuhilfe zu eilen, weil er sonst bis zum Exitus hier baumeln bliebe, ist das eine aktive Provokation. Wenn eine Gräueltat mehrfach gespiegelt und gebrochen, zuletzt aber doch als ebendiese Gräueltat auf einer Bühne wiederholt wird, wird aus dem Opfer immer noch kein aktiv agierender, das Hochrisiko herausfordernder Akteur. Ausser, die Grundannahme des Stückes bestünde darin, Homosexualität wäre per se ein kontinuierliches Herausfordern des Todes. Also eine latente Provokation. Das könnte die grundsätzliche Weigerung des Abends erklären, sich nur schon im Entferntesten mit dem Thema der Homophobie auseinanderzusetzen, oder dann ist diese konsequente Unterlassung durch deren Inszenierung als Leerstelle die eigentliche Anklage gegenüber der Gesamtgesellschaft, die hier gemeinsam im Dunkeln sitzt, und soll spiegelbildlich wirken: Die Blindheit gegenüber der eigenen Homophobie. Ob allerdings dies den kollektiven Schock der Bewohner­Innen von Liège ausmachte, scheint eine doch recht gewagte These. Es ist ein wenig wie bei «Die 120 Tage von Sodom», das Milo Rau mit dem Theater Hora für das Schauspielhaus Zürich inszenierte und wo er das Nähren und Befriedigen von sexueller Lust durch das Quälen in der politischen Endzeitparabel von Pier Paolo Pasolini schlicht nicht mitverhandelte, sondern den Fokus rein auf die Gewalt legte. Warum er jetzt einen Schwulenmord zum Beispiel für ein theatrales ReEnactment nimmt und exakt die Sexualität ausspart, erleichtert die Entschlüsselbarkeit der regieseitigen Motivation nicht unbedingt. Vielleicht ist auch dies ein ziemlich verkopftes Übers-Eck-Spielen, indem er den Kampf gegen das Ohmachtsgefühl eines motivlosen Mordes mit vielen verschlungenen Spurensuchen in ein Theater übersetzt, das ganz viel reales Handeln mit Bedeutungsschwere auflädt, um kunstvoll zu verwedeln, dass der Kern gar nie behandelt wird. Ein Einfach-so-Mord als Einfach-so-Theater?

 

«Die Wiederholung. Histoire(s) du théâtre (I)», 26.10., Gessnerallee, Zürich.

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