Eine Landpartie

Zum dritten Mal lud Simon Dellsperger eine persönliche Auswahl aus KünstlerInnen diverser Kunstsparten zum Zehnminutenauftritt in die Wirtschaft Ziegelhütte nach Schwamendingen.

Auf die Frage nach dem ersten Abend, ob das Schrägsein der Performances ein Auswahlkriterium wäre, blickt Simon Dellsperger einigermassen unverständig zurück und meint: «Sie müssen eine gewisse Qualität haben.» Er vergibt Carte Blanches, Auftrittsaufträge oder übernimmt Bestehendes von Personen und/oder Formationen, die ihm gefallen. Der Rest ist Echtzeit. Das kann darauf hinauslaufen, dass der Telefonbuchzerreiss-Rekordhalter Albert Jamie Walter einen auf Fernsehbildern basierten Karrierespot mitbringt, dreimal wiederholt, dass er jetzt eigentlich mit Johnny Depp auf dem grünen Teppich verabredet sei und zum Schluss durch die Filiale von Watzdameyer hergestellte Unterschriftenkarten signiert, ohne nur schon in die Nähe eines Telefonbuches gekommen zu sein. Oder der Conférencier Jesko Stubbe stellt vor die Projektion der Stop-Motion-Instagramfilme von Michel Gondry («Eternal sunshine of the spotless mind») die E-Mail-Konversation zur Rechteeinholung mit dessen Management. Anissa Nussbaumer rückt in ihren zehn Minuten einen Plattenspieler ins Rampenlicht, auf dessen Tonträger sie sich, im Aufnahmeraum herumgehend, kontinuierlich infragestellt: «I am an artist. I am not.» Anhand dieser Arbeit lässt sich etwa in der Pause die Verschiedenartigkeit der Vorlieben im angereisten Publikum ausmachen. Während der Schreibende das wahnsinnig hintersinnig und lustig fand, scherzten andere Anwesende: «Die Umbaupausen sind im Vergleich dazu richtiggehend kurzweilig.» Die radikale Subjektivität der Auswahl von Simon Dellsperger macht genau den Reiz der «Schwamendinger Kurzauftritte» aus. Hier versucht niemand, zwanghaft zu gefallen, sondern alle ziehen ihr Ding durch. Das ergibt eine gelöste und nach zwei besuchten Abenden fast schon familiäre Atmosphäre, in der jedes Anderssein auch im Publikum total nebensächlich wird.

 

Trockenübungen
Es ist auch überhaupt nicht gesagt, dass die Auftritte dieses Attribut im herkömmlichen Sinne überhaupt erfüllen. Joa Iselin und Christoph Ranzenhofer alias «Porte Rouge» stellen in ihren zehn Minuten die fast schon rituelle Kostümanprobe als Kabuki-Darsteller als eigentliches Ereignis dar. Und die drei Dirigenten Henrique dos Santos Costa, Marc Kissoczy und Luis Castillo sitzen hochkonzentriert um einen gut ausgeleuchteten Tisch und dirigieren jeder für sich eines der Konzerte für drei Orchester von Karlheinz Stockhausen – ohne dass dabei nur ein Ton gespielt wird. Auch der Slampoet Dominic Oppliger spielt mit der Täuschung, indem er ein altmodisches Kassettengerät vor den Vorhang unter ein Mikrophon stellt, das die Laufgeräusche zu seiner im Verborgenen trotzdem live gehaltenen Lesung beisteuert. Ein in Berlin uraufgeführter Kurzfilm wird einzig von Zensurbalken geschwärzten Informationen über die Urheberschaft und den Filmtitel gezeigt. Darin werden wahllos Menschen beobachtet, wie sie das erste Mal auf einem Zehn-Meter-Sprungturm stehen und wie sie reagieren. Die coole Alte, die es sich beim fast wieder die Stiege runterklettern doch nochmal überlegt, läuft dabei dem von Testosteron strotzenden und trotzdem kneifenden Jüngling den Rang sowas von ab. Dass sich Denise Wintsch hinter Masken versteckt, ist kein Novum. Ihren Auftritt als «der Chef persönlich» alias Bob tritt sie im Rückwärtsgang an und preist im kompletten Unbewusstsein über die eigene Peinlichkeit jede einzelne der den Kittel übersäenden Medaillen als vollkommen zurecht verliehen. Und damit sich selber als nicht weniger als den Siebesiech himself. Das Augenzwinkern, das aus allen Auftritten mehr macht, als was real auf der Bühne geschieht, ist, was zu Beginn mit schräg vermutlich einfach fehlerhaft benannt wurde.

 

Viel Musik
Reverend Beat-Man kokettiert mit
trashiger Amateurhaftigkeit und liefert kurzerhand besten Rock’n’Roll. Dominik Huber und Dani Hobi sind gleichzeitig erfreut über ihren Soloauftritt und spielen jeder für sich die drei sie in ihrem Leben am meisten beeinflussten Lieder – gleichzeitig auf der Gitarre. Das ist sehr viel weniger Krach, als es die Anlage vermuten lässt. Und hinsichtlich des grassierenden Drangs, sich in jeder erdenklichen und unmöglichen Situation auf Kosten aller anderen in den Vordergrund zu spielen, ein herzallerliebster Denkanstoss. «Vaudoo-Dada» (Chine Curchod, Pierre Omer, Julien Israelien) geben ebenfalls vor, ein Konzert zu spielen, wobei ihre szenische Maskerade und das Spiel mit der absichtlichen Bewegungsbehinderung beim Töne generieren im Mindesten von ebensolcher Wichtigkeit ist, wie der Klang. Ilja Komarov steht für einmal als Didgeridoo-Spieler auf der Bühne, wobei das Instrument bloss auch auf der Bühne steht, um zu illustrieren, dass persönlich erlebte Scham gut für die Erinnerung an den Moment ist. Dann gabs noch zwei Versteigerungen von dezidiert unnützer Kunst und zwei, drei weitere Interventionen. Fast könnte man auf den Gedanken kommen, hier handelte es sich um eine ins 21. Jahrhundert überführte Freakshow (ohne Freaks), die einzig dazu da ist, das Publikum zu amüsieren. Und das tuts.

 

«3. Schwamendinger Kurzauftritte», 5./6.10., Trinkhalle, Wirtschaft Ziegelhütte, Zürich.
www.watzdameyer.ch/filiale

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