«Ein Velorennen über 75 km ist für einen wahren Pöstler keine Distanz»

Julian Büchler

 

Bruno Hefti wurde von der Gewerkschaft politisiert, wie er selber sagt. Das Elternhaus sei eher apolitisch gewesen, seine Mutter habe aber immer Courage gehabt, lacht er. Aufgewachsen in Höngg, ging er ab der neunten Klasse in Wipkingen, wo er masslos unterfordert gewesen sei. «Nach den ersten Ferien habe ich dann beschlossen, nicht mehr zur Schule zu gehen.» Da die Lehrstellen schon alle besetzt waren, bewarb er sich als Warenprüfer bei einem Bahnzulieferer. Obwohl das ein einseitiger und etwas langweiliger Job gewesen sei, habe man ihm immer zugesteckt: «Denk dran, es geht um Menschenleben, wir fertigen Lokomotiven, da muss jede Schraube passen.» Der Arbeitsalltag in der Fabrik war ihm viel zu strikt. «Um genau neun Uhr morgens war Pause, um viertelnach musste man wieder drinnen sein, das war nichts für mich.» Per Zufall vernahm er, dass die Post immer Leute suche. So kam er mir nichts, dir nichts als Aushilfe zur Post, wo er später bis zum Poststellenleiter aufstieg.

 

Der junge Bruno Hefti suchte die Freiheit. Als Express-Zusteller begann seine Karriere. Immer mit dem Velo in der Stadt unterwegs, das war für ihn ein Freiheitsgefühl. «Ich konnte selber entscheiden, wo ich durchfahren wollte, wann ich fürs Znüni stoppte oder sonst eine kleine Pause machen wollte.» Nach der kurzen Anstellung als Aushilfe begann er die einjährige Lehre. Er erinnert sich an lasche Gesetze und unbürokratische Abläufe. «Weil damals die Expresszulieferung so günstig war, hatten wir stets Personalmangel. Wenn sie eine weitere Stelle zur eigenen Entlastung wollten, mussten sie nur zum Chef gehen und alles wurde geregelt. «Sie hatten ja die Swisscom, die all ihre Defizite ausglich», scherzt er. Damals seien die Gewerkschaften sehr präsent gewesen und hätten einen aktiv angeworben. An einem 1. Mai waren alle von uns ‹putzt und gstriglet› in Uniform an der grossen Demonstration. «Wer nicht kam, musste am nächsten Morgen eine gute Erklärung dafür haben, das war sowas wie eine Pflicht.» Auch die Zöllner und Bähnler waren da, das war ein riesen Ereignis. Was fehlte, waren die Frauen. Die kamen erst später, damals, als die ersten Studentinnen mitmarschierten. «Das war damals mehr als revolutionär (lacht).» Er selber war auch neben den Gewerkschaften aktiv, um etwas zu bewegen. Viele Jungen der Sihlpost kamen aus der Innerschweiz nach Zürich, wo die meisten bei einer ‹Schlummermutter› gewohnt haben. «Das war vor allem den Müttern der Jungen lieb, die befürchteten, dass ihre Söhne nun in der grossen Stadt nur ins Puff gehen und saufen.» Um ihnen den Szenenwechsel und den Wegzug von der Familie etwas zu erleichtern, organisierte er postinterne Projekte. Er sei zwar kein guter Schreiber gewesen, er habe in Deutsch lieber zum Fenster rausgeschaut. Trotzdem brachte der damals junge Pöstler mit einigen Kameraden eine Zeitschrift raus. «Der Starter» behandelte ein breites Band an Themen, von Gewerkschaftsanliegen über Fussballresultate bis hin zu militärkritischen Kolumnen. Auch beliebt waren die Velorennen, die bis zu 75 Kilometer weit reichten. «Für einen wahren Pöstler war das keine Distanz, sagt Bruno Hefti schmunzelnd. Privat ging er in seinen Zwanzigern gerne reisen. Einmal via Sowjetunion nach Japan und einmal nach Südamerika. «Damals konnte man bei der Post noch nahezu unbegrenzt unbezahlte Ferien nehmen, das habe ich oft genutzt.» Er habe sich nie fürs teure Reisen interessiert. Auf dem Weg nach Leningrad hätten er und sein Freund in einem Hotel übernachtet, das ihnen sagte, sie hätten nicht eine einfache Kammer, sondern die Suite gebucht. Als sie einige Tage später in der Eingangshalle waren, passierte das umgekehrte zwei Reisenden aus Schweden. «Wir konnten also auf deren Kosten teuer übernachten, weil die an der Rezeption Schweiz und Schweden vertauscht hatten.» (lacht)

 

Aus der Stadt zog er, als er sich mit seiner Frau ein eigenes Haus leistete. Rheinau war damals berühmt für seine starke SP, auch wegen der Klinik. Per Zufall wurde dort bald schon eine Stelle bei der lokalen Poststelle frei, die er besetzen konnte. «Die Arbeit gefiel mir sehr gut, im Dorf kannte ich schnell sehr viele Leute.» Er sei gut vernetzt gewesen und parteiintern als Junger beliebt, litt die Partei doch damals wie heute an Überalterung. So kam es, dass er von der Partei angefragt wurde, ob er nicht für den Gemeinderat kandidieren wolle. «Ja guet, dänn gömmer halt», war seine pragmatische Antwort. So wurde er 1985 auf Anhieb gewählt. «Das isch kei Sach gsii», er sei ja bekannt gewesen. Viele Stimmen kamen von der weiblichen Bevölkerung, was angesichts des charmanten und humorvollen Charakters wohl niemanden erstaunte. Dass er im selben Dorf, indem er wohnte und arbeitete, nun auch politisierte, war nicht immer einfach. Er habe als Pöstler auf der Strasse schnell zu hören bekommen, wenn er ‹einen Seich› gemacht hatte (lacht). Das habe ein dickes Fell gegeben und dazu geführt, dass er ein kompromissbereiter Linker wurde. 1987 sei etwas Historisches passiert. Bei den Kantonsratswahlen sei die SP gemeinsam mit den Grünen angetreten. Als an diesem Tag gegen acht Uhr abends die Resultate verkündet wurden, war die Sensation perfekt: Grüne und SP konnten auf Kosten der SVP je einen Sitz holen. Danach hätten sie eine riesen Party gefeiert bis weit in die Nacht hinein. Am nächsten Tag dann die Ernüchterung: Beim Auszählen der Stimmen von Kleinandelfingen seien die Stimmen der SP jener der SVP gutgeschrieben worden und umgekehrt, «was für ein Fauxpas!» (lacht). Seit seiner Pensionierung ist es etwas ruhiger geworden um ihn. Trotzdem ist Bruno Hefti weiterhin politisch engagiert. Er stellt für die SP die Wahl- und Abstimmungsplakate in der Region auf. Und er freut sich immer wieder über die positiven Resultate ‹seiner› Gemeinde. «Regelmässig stimmt Rheinau linker als die Kreise 4 und 5 in der Stadt, beispielsweise bei der USR III», verkündet er voller Stolz. Einzig bei den vergangenen Abstimmungen hätten ihn ‹die Saucheibe› enttäuscht (lacht).

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