Ein seltener Kompromiss

Der Mehrwertausgleich erlaubt es Gemeinden, bei Umzonungen von Bauland einen Teil der erzielten Wertsteigerung abzuschöpfen. Wie hoch diese Abgabe sein darf und wie weit der Handlungsspielraum der Gemeinden geht, wurde in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Am letzten Freitag präsentierte der Kantonsrat einen Kompromiss, der die verschiedenen Akteure ins Boot holen soll.

 

Milad Al-Rafu

 

Wenn von einem unverhofften Geldsegen die Rede ist, fallen schnell mal die Worte Lotteriegewinn oder Erbschaft. Die wenigsten Leute denken jedoch an eine Umzonung. Dass mit diesem sehr technisch anmutenden Wort viel Geld verbunden ist, wissen die VertreterInnen der Gemeinden: Wird Bauland neu eingezont oder wird dessen Ausnützung erhöht – etwa wenn ein Land für landwirtschaftliche Zwecke zur Wohnzone wird – können Grundstücke massiv an Wert gewinnen. Um einen Teil dieser Wertsteigerung für die Infrastruktur, Bildung etc. einsetzen zu können, erheben die Gemeinden einen Mehrwertausgleich. Aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse der Gemeinden variiert die Höhe des Ausgleiches.

 

Regelungspflicht
Basierend auf dem revidierten nationalen Raumplanungsgesetz hatten die Kantone nun bis am 30. April Zeit, den Mehrwertausgleich in einem kantonalen Gesetz zu regeln. Der Regierungsrat hat deshalb bereits vor einem Jahr eine Vorlage an den Kantonsrat überwiesen: Vorgesehen war dabei, dass die Gemeinden bei Einzonungen eine Abgabe von 20 Prozent zu erheben haben, die vollumfänglich in einen kantonalen Fonds fliessen soll. Bei Auszonungen, die eine Zahlung der Gemeinden an die Grundstückbesitzer erforderlich macht, hätten die Gemeinden dann Mittel aus dem Fonds beantragen können. Für Auf- und Umzonungen legte der Vorschlag des Regierungsrates ausserdem eine Obergrenze von 15 Prozent für Mehrwertabgaben fest.

 

Der Vorschlag des Regierungsrates stiess jedoch auf viel Kritik: VertreterInnen der Gemeinden sowie anderer Interessengruppen warfen dem Regierungsrat vor, die Gemeindeautonomie unnötig einzuschränken. So sind Gemeinden mit wenig Mitteln darauf angewiesen, eine höhere Mehrwertabgabe als die vorgesehenen 15 Prozent zu erheben. Auch dass die Abgaben bei Einzonungen nur für Auszonungen verwendet werden dürfen, sorgte für Unmut. Als Reaktion auf diese Gesetzesvorlage formierte sich das «Initiativkomitee für einen gemeindefreundlichen Mehrwertausgleich», bestehend aus VertreterInnen der SP und der Grünen und dem MieterInnenverband. Die Initiative fordert hierbei einen Handlungsspielraum für die Gemeinden, um die raumplanerischen Ziele des Bundes und des Kantons nach den Bedürfnissen der Gemeinden umzusetzen. Insbesondere auf eine Obergrenze auf Abgaben für Auf- und Umzonungen soll im kantonalen Gesetz verzichtet werden. Da in der Zwischenzeit die Frist zur Umsetzung einer kantonalen Gesetzgebung ausgelaufen ist, hat der Bund einen temporären Einzonungsstopp für den Kanton Zürich verhängt.

 

Gegenvorschlag des Kantonsrates
Am letzten Freitag präsentierte die Kommission für Planung und Bau des Kantonsrates ihren Gegenvorschlag zur Vorlage des Regierungsrats. Gemäss Medienmitteilung wurde «nach zähem Ringen ein gelungener Kompromiss einstimmig verabschiedet». Der Gegenvorschlag hat mit der Vorlage des Regierungsrates einzig gemein, dass bei Einzonungen eine kantonale Abgabe in der Höhe von 20 Prozent erhoben werden soll. Anders als unter der Vorlage des Regierungsrates können die Gemeinden gemäss Gegenvorschlag jedoch einen Mehrwertausgleich für Auf- und Umzonungen bis zu 40 Prozent erheben. Kleinere Bauflächen, festgesetzt von den Gemeinden, sind jedoch grundsätzlich von Abgaben befreit. Städtebauliche Verträge sollen ausserdem weiterhin erlaubt sein: Solche Verträge ermöglichen den Gemeinden, Grundstückbesitzer zu verpflichten, mit einer Abgabe etwa einen Teil der Infrastruktur zu finanzieren.

 

Konsens
Die VertreterInnen des «Initiativkomitees für einen gemeindefreundlichen Mehrwertausgleich» zeigen sich erfreut über den Gegenvorschlag des Kantonsrates. Gemäss Ruedi Lais, SP-Kantonsrat und Mitglied des Initiativkomitees, stimmt der Gegenvorschlag mit der Initiative in den wichtigen Punkten überein. Einzig mit der Obergrenze von 40 Prozent für Aus- und Umzonungen weicht der Gegenvorschlag klar von der Initiative ab, die keine Deckelung vorsah. Damit können die Initianten jedoch gut leben, entspricht dies doch in etwa der Praxis vieler Gemeinden, eine Abgabe bis zu 50 Prozent zu erheben. Das Initiativkomitee hat deshalb beschlossen, die Initiative zurückzuziehen.

 

Auch die VertreterInnen der Gemeinden sind grundsätzlich zufrieden über den Gegenvorschlag: So hält der Verband der Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich fest, dass der Gegenvorschlag zwar «nicht in allen Teilen den ursprünglichen Forderungen entspricht, aber dass er diesen Kompromiss mitträgt»: Auf Anfrage erklärt Jörg Kündig, Präsident des Gemeindepräsidentenverbandes, dass der Verband ursprünglich eine höhere Obergrenze für Um- und Aufzonungen gefordert hat. Auch eine Abgabe für Einzonungen, von der ein Teil an die Gemeinde geflossen wären, stand im Raum. «Der Gegenvorschlag entspricht jedoch trotz Abweichungen einer guten, zukunftsgerichteten Lösung», erklärt der Verband. Von der Zustimmung zum Gegenvorschlag erhofft man sich, dass dieser möglichst rasch umgesetzt wird und dass «alle relevanten Verbände auf das Ergreifen eines Referendums verzichten». Damit wolle man erreichen, dass der vom Bund verhängte Einzonungsstopp möglichst bald aufgehoben wird.

 

Auch André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements, sieht in dem Gegenvorschlag «einen Kompromiss von grosser Bedeutung». Denn insbesondere für die urbanen Zentren des Kantons sei eine gute Regelung wichtig, findet doch der Haupteil der Verdichtung in den Städten statt: «Mit dem nun vorgeschlagenen Maximalsatz und der Möglichkeit, weiterhin städtebauliche Verträge auszuhandeln, können wir im Sinne unserer bewährten Praxis weiterfahren und den Mehrwertausgleich dort einsetzen, wo er benötigt wird.»

 

Einig sind sich alle Beteiligten, dass mit dem Gegenvorschlag ein konstruktiver Kompromiss erzielt wurde. An der Medienkonferenz vom letzten Freitag, organisiert von den verschiedenen Interessengruppen, sprach man sogar von «Parlamentsarbeit in Reinform». Dass der Kantonsrat in dieser relativ kurzen Zeit einen Vorschlag zustande bringen würde, der es ermöglichte, den Hauseigentümerverband, die Gemeinden, die Wohnbaugenossenschaften und das Initiativkomitee ins gleiche Boot zu holen, haben ihm tatsächlich viele Leute nicht zugetraut. Ob dies einzig der guten Parlamentsarbeit zuzuschreiben ist, oder ob nicht auch die zeitliche Dringlichkeit eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist schwer nachzuweisen. Die Vertreter des Kantonsrates hoffen jedenfalls, dass solche pragmatischen Kompromisse auch in Zukunft möglich sein werden.

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