Ein nötiger Entscheid

Die Delegierten der SP des Kantons Zürich entschieden mit 102:73 Stimmen, Mario Fehr für die Wahlen im kommenden Frühling zu nominieren. Dass Jacqueline Fehr mit 168 Stimmen ebenfalls nominiert wurde, war unbestritten. Der Abend zeigte ihre gute Verankerung in der Partei und wie zufrieden die Delegierten mit ihrer Arbeit im Regierungsrat sind.

 

Die Wiedernomination von Mario Fehr hingegen war keine Selbstverständlichkeit, und dass die Geschäftsleitung diese Frage an einer Delegiertenversammlung geklärt haben wollte, bevor der Wahlkampf konkret wird, war notwendig. Dass sie dabei selber keine Position bezog, verstehe ich trotz des guten Verlaufs des Abends immer noch nicht. Ganz kurz: Das ist keineswegs basisdemokratisch, sondern die Verweigerung der Rolle, die die GL bei ihrer Wahl angenommen hat. Die SP entschied auch nicht über Vertrauen oder nicht, sondern ganz banal, ob Mario Fehr bei den nächsten Wahlen ihr Kandidat ist oder nicht. Ungeklärt blieb beim Entscheid am Dienstagabend die Frage nach einer Alternative: Wer steht zur Verfügung, wenn die SP Mario Fehr nicht mehr aufstellt? Dabei geht es weniger um die Frage, wie sich dann Mario Fehr verhalten würde, sondern wer als SP-KandidatIn als Alternative zur Verfügung stünde, wie dies Stefan Feldmann als einziger in der Diskussion ansprach. Diese Problematik war aber insofern nicht lösbar, als vor dem Entscheid über Mario Fehr kaum jemand sich dazu – oder wenn schon nur negativ – äussern wollte.

 

Mario Fehrs Politik und seine Person sind in der SP umstritten; nicht nur die Jusos haben vor allem mit seiner Asylpolitik Mühe. In der Stadt Zürich kommt sein gebrochenes Versprechen bei der Räumung des Kasernenareals im Zusammenhang mit dem Bau des Polizei- und Justizzentrums hinzu. Aber im Zentrum des Widerspruchs stand seine Asylpolitik und seine Person, respektive seine Art des Politisierens, und viel weniger die Frage nach der Breite der Partei. Andere SP-PolitikerInnen mit einer ähnlichen Positionierung (dazu gehört etwa Bundesrätin Simonetta Sommaruga) stossen in der Partei auf weniger Abwehr. Der Stadt-Land-Gegensatz existiert zwar, gegen Mario Fehr sprachen fast nur StädterInnen (inklusive der städtischen Geschäftsleitung), aber viele Delegierte aus der Stadt stimmten für ihn und die Jusos hielten sich erstaunlich zurück.

 

Der Abend, den vor allem der ‹Tages-Anzeiger› als beeindruckend taxierte (schön, dass man diese Zeitung so leicht befriedigen kann), zeichnete sich durch eine sachliche Diskussion aus. Er verlief so gesittet und respektvoll, dass Salz, Würze und rhetorische Finesse oder gar etwas Bosheit sogar leicht fehlten. Aber er machte Politik und Person von Mario Fehr ausgesprochen transparent. Mario Fehr wehrte sich auch sehr emotional gegen den Vorwurf, er sei in der Asylpolitik ein Hardliner, nutze seinen Ermessensspielraum nicht. Er wies auf die Praxis der Härtefälle hin (Prüfung auch ohne Gesuch), billigte seinen KritikerInnen zu, dass er möglicherweise seinen Ermessensspielraum noch etwas mehr hätte nutzen können. Aber vor allem wies er darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit Bund und Gemeinden bestens funktioniere und erinnerte an seine Rolle bei der Erarbeitung des neuen Asylgesetzes, das auch die SP zur Annahme empfahl. Nicolas Galladé als an den Gesprächen und Verhandlungen Beteiligter bestätigte seine zentrale Rolle. Zu Mario Fehrs Fähigkeiten gehört das Schmieden von Mehrheiten, das Abwehren von Vorschlägen, die mit einer halbwegs humanen Flüchtlingspolitik nicht mehr vereinbar wären. Ohne ihn in seiner Rolle in der Konferenz der Sicherheitsdirektoren wäre die Revision des Asylgesetzes schlechter ausgegangen.

 

Zu seiner Person gehört indes auch, dass er das Resultat als das absolut bestmögliche (nicht das besterreichbare) erklärt, dass sein Migrationsamt fast alles richtig macht. Das kollidiert mit den Erfahrungen jener SP-Mitglieder, die sich engagiert um Flüchtlinge kümmern, die überzeugt sind, es läge auch bei der vorhandenen Gesetzeslage ein grösserer Spielraum vor. In diese Spannung kam der eigentliche Kristallisationspunkt, die Rayonbeschränkung für einen Teil der Abgewiesenen.

 

Er tat sehr viel und Gutes für die Kantonspolizei. Nur: Warum muss er sie als beste der Schweiz verkaufen? Es gelang ihm, die bestehende Mehrheit im Kantonsrat für einen möglichen Austritt des Kantons aus der SKOS mit vielen Telefonen und einigen Reformen wieder auf SKOS-Kurs zu bringen. Auch sein neues Sozialhilfegesetz ist brauchbar bis gut. Aber auch hier: Die SP möchte nicht nur verteidigen, mehr als Abbau verhindern – was Mario Fehr weitgehend gelang.

 

Das Fazit ist klar: Mario Fehr beherrscht das Metier eines Regierungsrats. Vieles ist mit den Zielen der SP vereinbar, anderes verstösst zumindest für eine Mehrheit nicht klar gegen diese Ziele. Oder banal ausgedrückt: Mario Fehr verdient für eine Mehrheit keine Abwahl. Dazu kommt, was vor allem die RednerInnen vom Land betonten, die Angst vor dem Zwist bei einem Bruch, der befürchtete Verlust des Momentums der guten Wahlen. Fehr kommt in der Agglomeration bei den Leuten gut an, dass der Regierungsrat vernünftiger als der Kantonsrat politisiert, ist auch sein Mitverdienst. Die Stadtpartei befürchtet bei einer Wiedernomination Parteiaustritte, die LandschaftsrednerInnen bei einer Trennung.

 

Mario Fehr erhielt eine Mehrheit, gemischt aus echter Anerkennung und Taktik. Die Mehrheit war klar, aber alles andere als überwältigend. Es liegt nun vor allem an ihm, das Vertrauen der Minderheit wieder zu gewinnen. Dazu gehört ein besseres Hinschauen bei Problemen mit den Flüchtlingen und sich nicht mit einem Nichtchaos zu begnügen.

 

Dabei geht es weniger um die umstrittenen Repressionsmassnahmen, sondern um die intensivere Integration der 17 000 anwesenden Flüchtlingen. Er könnte sich zusammen mit der SP so engagiert für eine Erwerbsarbeit für sie einsetzen, wie er das für den Vollbestand der Kantonspolizei tat.

 

Ich weiss, dass hier auch andere Departemente mitbestimmen. Aber jemand muss sich engagieren und etwas riskieren. Niederlagen für einen guten Zweck nutzen Sozialdemokraten manchmal mehr als der bestmögliche Kompromiss.

 

Koni Loepfe

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