Ein gutes Jahr

2015 sanken die Sozialausgaben in Winterthur von 111,2 auf 110,2 Millionen Franken. Als Trendwende sieht das der zuständige Stadtrat Nicolas Galladé noch nicht, wie er an der Medienorientierung am Donnerstag erklärte. Aber er hat die berechtigte Hoffnung, dass sich die Ausgaben stabilisieren, und kämpft mit politischen und operativen Massnahmen dafür, dass die Belastung für die Stadt etwas kleiner wird.

 

Das Sozialamt stellt jedes Jahr die Zahlen der Sozialhilfe des vergangenen Jahres vor und weist auf Trends hin. In Winterthur sind diese Zahlen seit einigen Jahren brisanter als anderswo. Die Sozialkosten nahmen in den letzten Jahren einen immer grösseren Anteil an den Stadtfinanzen ein, und es gab keine Anzeichen, dass dieser Trend bald gestoppt werden könnte. So gesehen war das Jahr 2015 ein gutes Jahr. Erstmals seit mehr als zehn Jahren waren die Nettoausgaben für die Stadt leicht rückläufig. Von einer Trendwende will Nicolas Galladé allerdings noch nicht reden. Die Fallzahlen sind sowohl bei der Sozialhilfe wie auch bei den Zusatzleistungen noch steigend. Aber bei beiden konnten, so Dieter P. Wirth, der Leiter der Sozialen Dienste, die Kosten pro Fall etwas reduziert werden. Bei der Sozialhilfe erhielt die Stadt mehr Rückzahlungen als erwartet, bei den Ergänzungsleistungen nahmen die günstigeren Unterstützungen von Personen zu, die zuhause wohnen, während die Anzahl der teuren Unterstützungen in den Heimen leicht abnahm. Die Kleinkinderbetreuung wurde abgeschafft und kostet die Stadt nur noch soviel, wie in der Sozialhilfe zusätzlich an Unterstützung für junge Eltern oder Alleinerziehende anfallen wird.

Galladé und Wirth orientierten eingehend über die Massnahmen, die sie aus dem Bericht des Büros BASS gezogen haben und ziehen werden. Dazu ist es nötig, die Vorgeschichte in Erinnerung zu rufen.

 

Der Bericht

In der Stadt Winterthur nahmen die Kosten für die Sozialhilfe von 2011 auf 2014 netto von 37 auf 51 Millionen Franken zu. Die Zusatzleistungen nahmen in derselben Zeit von 46 auf 50 Millionen Franken zu. Diese beiden Leistungen machen 90 Prozent der gesamten Sozialkosten der Stadt aus. Es liegt auf der Hand, dass vor allem die enorme Steigerung in der Sozialhilfe – kombiniert mit einer stets deutlich zu tiefen Budgetierung – politisch einiges zu reden gab. Zusammengefasst lautete das Motto: «Sechs Departemente müssen sparen, damit das siebte mehr Geld ausgeben kann.» Der Gemeinderat nahm ein Postulat von Michael Zeugin an, das ein Gutachten Dritter verlangt. Es soll geprüft werden, ob die Planbarkeit der Sozialausgaben verbessert und diese Ausgaben besser gesteuert werden können. Vergeben wurde die Studie an das führende Sozialbüro BASS.

Die Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Bei der Budgetierung waren die Winterthurer Sozialverantwortlichen keine Weltmeister. In der praktischen Arbeit hingegen gibt es keine Anzeichen von Uneffizienz oder falschen Anreizen. Die Zunahme der Fallzahlen in der Sozialhilfe und die im Vergleich zu anderen Städten höheren Kosten pro Fall lassen sich (leider) gut erklären: Alle mittelgrossen Städte der Schweiz weisen eine überdurchschnittliche Zunahme auf. Es gibt keinen ausgewiesenen Zuzug von SozialbezügerInnen aus den umgebenden Gemeinden, wobei wenig Arme die Stadt verlassen. Der Verlust von Arbeitsplätzen in der traditionellen Industrie führt zu mehr Sozialfällen, und da Winterthur eine familienfreundliche Stadt ist, schlägt sich das in diesen Zahlen nieder. Familien sind im Schnitt teurer als Singles. Zudem verrechnet Winterthur im Gegensatz zu anderen Städten die Heimkosten für SchülerInnen im Sozial- und nicht im Schulamt, was die Fallkosten erhöht. Auffallend bei Winterthur ist die hohe Anzahl Fälle pro SozialarbeiterIn. Gemeinden mit tieferen Fallzahlen weisen höhere Wiedereingliederungsquoten auf.

BASS schlägt drei Szenarien vor, wobei sich das Büro auf gesetzeskonforme Vorschläge beschränkt, also unter Einhaltung der SKOS-Richtlinien:

Mit einem rigorosen Zurückfahren aller freiwilligen Leistungen können kurzfristig maximal zwei Millionen Franken eingespart werden. BASS ist überzeugt, dass sich das Eingesparte rasch in Form von längeren Verweildauern in der Sozialhilfe in Mehrausgaben verwandelt. Es sieht zwei echte Sparmöglichkeiten: Viele Vermieter gaben die tieferen Hypothekarzinsen nicht weiter. Fordern Sozialhilfebeziehende dies ein, könnte bis zu einer halben Million Franken eingespart werden. Je länger vor allem die Alten zu Hause bleiben können, umso mehr wird bei den Ergänzungsleistungen gespart. Vermehrte Kontrollen (ausser bei der Erstaufnahme der Ergänzungsleistungen) erbringen vermutlich höchstens die zusätzlichen Ausgaben.

Investitionen: Weniger Fälle pro Sozialarbeiter und vor allem eine gezielte (Berufs-)Integration und eine Prävention, die vor dem Abgleiten in die Sozialhilfe eingreift, kostet aktuell, kann aber mittelfristig die Kosten senken.

Die Kosten für die Sozialhilfe müssen gerechter über den ganzen Kanton verteilt werden. Gelingt es Winterthur, gutbetuchte SteuerzahlerInnen mit entsprechenden Wohnungen anzusiedeln, erhält die Stadt mehr Finanzkraft. BASS betont, dass auch genügend günstige Wohnungen nötig sind.

 

Die Umsetzung

Den Bericht von BASS nahm der Stadtrat als Grundlage für Massnahmen an. Im Juli verabschiedete ihn der Gemeinderat im zustimmenden Sinne. Nicolas Galladé ist zuversichtlich, dass der vorgeschlagene Ausbau der Ressourcen in der Budgetdebatte vom Gemeinderat akzeptiert wird. Zum genauen Ausbauumfang will er sich erst im Rahmen der baldigen Budgetpräsentation äussern. Darum hier nur ein Rahmenhinweis: Ein junger unbetreuter Erwachsener kostet die Sozialhilfe jährlich rund 50 000 Franken. Während der Ausbildung belaufen sich die Kosten rasch einmal auf das Doppelte bis Dreifache. Gelingt diese, kommt bis zur Pensionierung einiges an Einsparungen zusammen.

Damit ist eine der wichtigsten Investitionen (nebst der politischen in einen Soziallastenausgleich) bereits genannt. Die Fachstelle junge Erwachsene soll wieder ausgebaut werden – Winterthur hat mit 10,1 Prozent die höchste Sozialhilfequote der unter 25-Jährigen in der ganzen Schweiz. Ob generell die Fallzahl pro Sozialarbeiter gesenkt wird, entscheidet sich erst 2017, wenn die Studie vorliegt, die zeigt, was mehr Ressourcen bringen. Sofort genauer angeschaut werden die rund 30 Prozent der LangzeitsozialleistungsbezügerInnen. Das Urteil des Bundesgerichts zur Rente bei Schmerzen lässt nicht nur Winterthur vermuten, dass sich ein abgewiesenes IV-Gesuch nach zwei Jahren mit Erfolgschancen wiederholen lässt.

Die beiden anderen Sofortmassnahmen laufen eher unter der Rubrik Missbrauchsbekämpfung. Bei den Zusatzleistungen soll mit mehr Personal vor allem die Erstabklärung intensiver erfolgen: Damit sollen verheimlichte Eigenmittel zum Vorschein kommen. Bei den Mieten geht es mit Vorsicht (vor allem bei den günstigen Wohnungen) darum, abzuklären, ob die gesetzlichen Mietzinsreduktionen bei der Senkung des Hypothekarzinses erfolgten. Das Zügeln aus Notwohnungen in eine preisgünstige Dauerwohnung stärkt nicht nur die Integration, sondern auch das Portemonnaie der Stadt. Alle anderen im Bericht aufgeführten Massnahmen werden später geprüft oder vom Gesamtstadtrat (bei der Wohnungspolitik) vorgestellt.

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