«Ein Dauerkonflikt ist schädlich für alle»

Daniel Frei trat letzte Woche als Präsident der SP Kanton Zürich zurück; über die Gründe für diesen Entscheid gibt er im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

Der jüngste Krach um die Notunterkünfte für Asylsuchende ist – von aussen gesehen jedenfalls – kein Grund für einen gestandenen Parteipräsidenten, den Bettel hinzuwerfen.

 

Daniel Frei: Die jüngsten Ereignisse waren der Anlass für den Rücktritt. Die Gründe liegen selbstverständlich tiefer und gehen weiter zurück.

 

Inwiefern?

 

Jede Person, die ein Amt wie beispielsweise ein Parteipräsidium ausübt, hat ein bestimmtes Amtsverständnis. So natürlich auch ich. Dieses Amtsverständnis ist kollidiert mit verschiedenen Entwicklungen. Das hat es mir verunmöglicht, das Amt so auszuüben, wie ich es für richtig und vertretbar halte. Daraus habe ich dann die entsprechende Konsequenz gezogen. Der Entscheid ist mir nicht leicht gefallen und war wohlüberlegt.

 

Konkret?

 

Alle wissen es: Zwischen Teilen der SP und Mario Fehr bestehen seit Längerem Konflikte, die wiederholt öffentlich ausgetragen wurden. Das finde ich auf Dauer eine unhaltbare Situation. Ich habe meine Rolle immer als eine integrative verstanden: Versuchen, im Dialog eine Lösung zu finden, die für alle tragbar ist, und dafür zu sorgen, dass die SP nicht ständig mit einem Knatsch im Gerede ist. Das setzt jedoch die Bereitschaft aller Beteiligten voraus, sich daran auch zu beteiligen. Das hat nach meinem Empfinden gefehlt. Es gab immer wieder neue Verhärtungen. Und das machte es schwierig bis unmöglich, die integrative Rolle auszuüben. Dazu kam: In der Geschäftsleitung sind Differenzen aufgetreten, wie mit dem Knatsch umzugehen ist, aktuell eben auch im Fall der Notunterkünfte für abgewiesene Asylsuchende.

 

Diesen Knatsch hätte die Geschäftsleitung verhindern müssen, sprich, sie hätte Mario Fehr einfach machen lassen müssen?

 

Es geht nicht darum, Mario Fehr «einfach machen zu lassen». Die Partei muss und soll eine eigene Haltung einnehmen, und diese muss keineswegs immer der regierungsrätlichen Position entsprechen. Es geht aber darum, wie diese Haltungen eingenommen und wie sie kommuniziert werden. Und es geht darum, die unterschiedlichen Funktionen auseinander zu halten und dies mit Sachlichkeit und Gelassenheit anzugehen. Es kann meines Erachtens punktuell durchaus zu einer Auseinandersetzung zwischen der Partei und ihren Exekutivvertretern kommen, den alle aushalten müssen – ein Dauerkonflikt hingegen geht nicht, er ist schädlich für alle und gibt eine miese Aussendarstellung ab.

 

Das riecht nach einem neuen Fall Lieberherr/Kaufmann.

 

Das muss nicht sein: Die SP Kanton Zürich ist grundsätzlich so breit aufgestellt, dass alle Platz haben.

 

Wenn einen die politische Konkurrenz auch nicht total überzeugt, glaubt man sicher eher, man habe schon Platz in der SP…

 

Nein, ich bin sicher, dass nicht alle Mitglieder der SP zu jeder Frage ein- und dieselbe Überzeugung haben müssen und sich in unserer Partei dennoch gut aufgehoben und vertreten fühlen können – und das auch tun. Dass in der SP zu Themen wie Migration oder Sicherheit unterschiedliche Auffassungen vertreten sind, ist weder neu noch schlecht, solange die jeweiligen Personen und Gruppen miteinander diskutieren und andere Meinungen respektieren.

 

Über Regierungspräsident Fehrs Talent, zu provozieren, sollte man trotzdem lieber schweigen?

 

Er kann bisweilen provozierend wirken, das streite ich nicht ab. Mit dem, was er inhaltlich vertritt, hat ein Teil der Mitglieder Mühe – ein anderer Teil findet es gut. Fakt ist aber: Er ist SP-Regierungsrat und wurde von der Partei zweimal nominiert und zweimal vom Volk glanzvoll gewählt.

 

In der Medienmitteilung vom 20. Februar heisst es zu den Präsenzkontrollen in den Notunterkünften, die SP Kanton Zürich lehne eine «solch unnötig restriktive und pauschalisierende Politik klar ab»; diese Position hätten die Delegierten letzten September mit der Zustimmung zu einer entsprechenden Resolution «nochmals unterstrichen». Es geht somit um Inhaltliches, das man kritisieren darf – wo liegt also das Problem?

 

Parteibeschlüsse wie diese Resolution sind natürlich gültig. Sie wurde auch kommuniziert. Die Frage ist: Ersetzt dies den internen Dialog? Soll deswegen nicht versucht werden, eine inhaltliche Lösung zu finden? Mein Verständnis ist: Die grundsätzliche Haltung der Partei ist bekannt. Im konkreten Einzelfall sollte aber – gerade wenn es eigene Exekutivmitglieder betrifft – versucht werden, auch inhaltlich etwas zu erreichen. Wenn dies alles zu nichts führt, kann die Partei politische Forderungen aufstellen bzw. diese öffentlich wiederholen. Wenn zu schnell oder nur öffentlich kommuniziert und kritisiert wird, besteht die Gefahr, dass es nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch um Personen – und so letzten Endes nichts erreicht wird ausser Lämpen.

 

In der ‹NZZ am Sonntag› vom 26. Februar ist folgendes Zitat von Ihnen zu lesen: «Zumindest Teile des linken Parteiflügels weisen sektiererische Züge auf und funktionieren auch wie eine Sekte.» Worauf wollen Sie mit solchen Aussagen hinaus?

 

Damit spreche ich den Dogmatismus an, der nach meinem Empfinden in bestimmten Gruppen der Partei zugenommen hat und sich insbesondere am Umgang mit Parteimitgliedern zeigt, die bei bestimmten Themen andere Haltungen einnehmen oder eine andere Vorgehensweise vertreten. Jede und jeder soll seine Ideologie haben – es darf aber nicht erwartet werden, dass alle anderen diese auch haben müssen und auch die Partei als Ganzes so funktionieren muss. Eine grosse Volks- und Regierungspartei braucht auch eine gewisse Breite und einen gewissen Pragmatismus. Mir ging es darum, dies auch einmal zu benennen und zu signalisieren, dass es eben auch noch um solche Fragen geht und da und dort eine Mässigung einsetzen sollte.

 

Sie meinen die ‹frechen› Juso?

 

Nein, nicht mal primär, dieser Dogmatismus ist zum einen nicht auf die Juso beschränkt, und zum anderen sind die Juso die Juso: Sie haben eine bestimmte Rolle, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass sie forscher und frecher auftreten als die Älteren, und das dürfen und sollen sie auch tun. Für mich ist die Grenze allerdings dann erreicht, wenn dies darin mündet, Strafanzeige gegen den eigenen Regierungsrat einzureichen. Politisches soll politisch gelöst werden. Das habe ich damals auch zum Ausdruck gebracht.

 

Wer ist denn sonst «zu dogmatisch»?

 

Es geht mir um den Umgang miteinander. Die SP ist die Partei der Toleranz und der Solidarität. Das sollte auch so gelebt werden, möglichst von allen. Bei inhaltlichen oder stilistischen Differenzen darf nicht die Frage im Raum stehen, wer das bessere SP-Mitglied ist und ob jemand dazugehört oder nicht. Und es darf auch keine Rolle spielen, wer sich wo wieviel eingesetzt hat oder eben nicht. Ebenfalls finde ich den Tonfall auf Social Media teilweise äusserst unanständig. Thematisch stelle ich immer wieder fest, dass das Parteiprogramm von Lausanne mit den berühmten Forderungen von etlichen Mitgliedern als gut und richtig empfunden, von etlichen Mitgliedern aber nicht mitgetragen wird.

 

Etwa die berühmt gewordene Überwindung des Kapitalismus?

 

Das ist ein Beispiel, der EU-Beitritt oder die Abschaffung der Armee sind zwei weitere. Hinter solchen Positionen steht ein Teil der SP-Mitglieder vorbehaltlos, während ein anderer Teil damit Mühe hat. Um es kurz und bündig zu sagen: In meinen Augen gehört der linke Flügel zur SP und diese Positionen sind wichtig, es braucht aber auch die Freiheit und die Offenheit, auch andere Positionen zuzulassen und zu akzeptieren und diese auch als Teil der Partei zu sehen. Um es bildlich zu sagen: Zum Fliegen braucht es zwei Flügel, die beide ihren Bewegungsspielraum brauchen.

 

Zu viel Dogmatismus hat Sie somit dazu bewogen, Ihren Job per sofort zur Verfügung zu stellen? 

 

Letztlich war es das Zusammentreffen aller dargelegten Faktoren.

 

Deswegen bräuchten Sie doch nicht zurückzutreten.

 

Doch: Wenn ich das Amt nicht mehr so ausführen kann, wie ich es richtig finde, dann muss ich die Konsequenzen ziehen. Kurzfristig ergibt sich daraus keine einfache Situation, das ist klar, mittel- und langfristig besteht jedoch die Chance, gewisse notwendige Klärungen vorzunehmen und die Partei nachhaltig zu stärken.

 

Wie bleibt Ihnen die Zeit als SP-Präsident in Erinnerung?

 

Ich habe das Amt gerne und mehrere Jahre ausgeübt, dabei hat es immer wieder viele interessante Begegnungen und Erfahrungen gegeben, die ich nicht missen möchte. Das Highlight war zweifellos das Wahljahr 2015: Die SP konnte entgegen dem allgemeinen Rechtstrend sowohl bei den kantonalen wie auch bei den nationalen Wahlen zulegen, sowohl in Bezug auf die Wähleranteile wie auch auf die Sitze. Besonders gefreut hat mich der Gewinn des Ständeratssitzes.

 

Sie haben weder die Schnauze voll noch inhaltliche Differenzen, aber Sie finden, Ihr Rücktritt sei das Gebot der Stunde: Dann treten Sie also doch wegen der Auseinandersetzung um die Notunterkünfte zurück?

 

Die war der unmittelbare Auslöser, doch wie gesagt, es haben mich weniger inhaltliche Differenzen als solche beschäftigt als vielmehr der Umgang damit: Als Präsident muss ich hinter dem stehen können, was gemacht wird. Wenn das wiederholt nicht der Fall ist und nicht geändert werden kann, dann ist es Zeit zu gehen.

 

Als Sie Mario Fehr nicht mehr in Schutz nehmen konnten wie gewohnt, traten Sie zurück?

 

Dass mir von einigen Personen vorgeworfen wird, ich nähme Mario Fehr zu sehr in Schutz, ist mir bekannt und das nehme ich so entgegen. Als Parteipräsident verstand ich es als meine Aufgabe, dafür zu schauen, dass Mario Fehr Platz hat in der Partei und dass die Partei als Ganzes untereinander einen guten Umgang pflegt und vorwärts kommt.

 

Zusammengefasst: Sie konnten viele Erfolge feiern, nicht zuletzt bei den Wahlen 2015, aber Sie schafften es nicht, den internen ‹Flohzirkus› nachhaltig zu bändigen?

 

Aus meiner Sicht gab es in den vergangenen Jahren einige Erfolge. Diese wurden vor allem dann erzielt, wenn die Partei ihre Breite und Vielfalt als Stärke eingesetzt und nach innen und nach aussen allen einen Platz gegeben hat. Das beste Beispiel ist das Wahljahr 2015: Das war eine Gemeinschaftsleistung. Dazu braucht es aber immer den Willen und die Bereitschaft aller. Dies hat bei den erwähnten Konflikten zunehmend gefehlt. Und da sage ich: So kann es nicht weitergehen. Es braucht eine Änderung und eine Rückbesinnung auf das, was diese Partei stark und gross gemacht hat.

 

Was geben Sie ihrer Nachfolge mit auf den Weg?

 

Ich wünsche ihm, ihr oder ihnen alles Gute, viel Erfolg und gutes Gelingen.

 

Wie geht es mit Ihrer Politkarriere weiter?

 

Ich bleibe Kantonsrat und Gemeinderat in Niederhasli und natürlich verfolge ich auch weiterhin die Entwicklung der Partei.

 

Und Sie unterstützen den Vorschlag, jetzt erst mal die gesamte Geschäftsleitung neu wählen zu lassen?

 

Diese Forderung stammt nicht von mir, aber persönlich würde ich es begrüssen, wenn die Geschäftsleitung mit einem klaren, erneuerten Mandat ihre Aufgaben angehen kann.

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