Der Schrank, die Tassen, die Liebe

Die Ausstellung «Cupboard Love» im Gewerbemuseum Winterthur widmet sich einem Möbel, das viele Geschichten zu erzählen hat – so man ihm denn zuhören will.

 

 

Der eine hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, die andere geht an den Giftschrank, der Designer widmet sich lieber dem Stuhl. Das Wunderland jedoch erreicht nur, wer durch den Schrank steigt: Dieses Möbel begleitet uns durchs Leben, wir nutzen es täglich – und doch schenken wir ihm kaum Beachtung. Das ändert sich nun: Dem Schrank ist die noch bis am 22. April dauernde Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur gewidmet.

 

Am Medienrundgang umriss die Co-Leiterin und Kuratorin des Gewerbemuseums, Susanna Kumschick, die Übungsanlage denn auch mit den Worten, es gehe da-rum, «sich über etwas Selbstverständliches Gedanken zu machen». Die verschiedenen «Schrankpersönlichkeiten» hätten nämlich durchaus «metaphorisches Potenzial»: Welche Beziehung haben wir zu unsern Schränken? Und: So regelmässig, wie wir unsere Sachen in Schränken verstauen oder daraus hervorkramen, so regelmässig haben wir die Gelegenheit, uns mit der Frage zu befassen, wie wir mit Besitz umgehen.

 

In der Ausstellung kommen noch weitere Facetten dieses vielseitigen Möbels zur Sprache: Der Schrank kann begehbar sein oder gar als Behausung dienen, er kann speziell designt oder möglichst schlicht und leicht zu transportieren sein. Auch in künstlerischen Arbeiten hat er seinen Auftritt, ebenso in Film, Fotografie und Literatur. Schränke haben aber nicht nur ihren eigenen Charakter, sondern auch ihren speziellen Geruch. Ob nach Lavendel, Mottenkugeln oder frisch gewaschenen Leintüchern – alle rufen sie Erinnerungen hervor. In der Ausstellung stehen mehrere Duftproben zum ‹Beschnuppern› bereit, die der Zürcher Parfumeur Andreas Wilhelm zusammengestellt hat.

 

Erbstück oder Ikea?

Mario Pellin, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Gewerbemuseums, führte das Nachdenken über etwas, worüber man sonst nicht nachdenkt, einen Zacken weiter: «Der Schrank muss funktionieren» – aber gleichzeitig muss er für die einen möglichst unsichtbar sein, während die andern sich ein schönes Erbstück mitten ins Zimmer stellen. Oder anders gesagt: Der Schrank spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, seinen Wohn- und damit Lebensraum zu gestalten. Entsprechend wandeln sich die Schränke je nach Lebensphase: StudentInnen behelfen sich mit einem billigen Ikea-Modell, während sich das arrivierte Doppelverdienerpaar ein schönes Stück «zum Zeigen» zulegt. Doch der Umgang mit dem Schrank sagt noch mehr über seine BesitzerInnen aus: Egal, wie einfach oder nobel das Modell – es gibt Menschen, deren Schränke ein perfekt organisiertes Innenleben aufweisen, während andere kreuz und quer soviel hineinstopfen wie möglich. Der Schrank ist damit auch Sinnbild dessen, wie die Besitzerin ihr Leben organisiert.

 

In der Ausstellung lassen sich die unterschiedlichsten «Schrankpersönlichkeiten» bewundern. Einige würde man spontan eher als Installation bezeichnen denn als Schrank, das Objekt «Büroschlaf» von Frank Kunert beispielsweise oder die «Hose» von Roman Signer. Sehr spezielle Möbel sind auch die «Hypnose II (Mantel)» von Erwin Wurm – eine Art Mantel-Schrank – oder das «private Gehäuse» von Regina Baiert. Nebst Werken aus Design und Kunst bietet die Ausstellung aber auch Filmausschnitte und Musikvideos sowie Literatur und Kindergeschichten, von Peter Bichsels «Ein Tisch ist ein Tisch» bis zu «Pippis neue Freunde» von Ole Hellbom. Denn auch Geschichten, ob filmische oder in Büchern festgehaltene, spielen gerne mit dem symbolischen Gehalt von Schränken: Darin verstecken sich heimliche Liebhaber ebenso wie Einbrecher oder Verfolgte. Kurz: Ein Möbel mit Innenleben – so oder so.

 

Cupboard Love. Der Schrank, die Dinge und wir. Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, Kirchplatz 14, 8400 Winterthur. Bis 22. April. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr, Montag geschlossen. Besondere Öffnungszeiten an Feiertagen, siehe www.gewerbemuseum.ch. Eintrittspreise: Fr. 8.-, ermässigt Fr. 5.-, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre sowie Schulklassen gratis.

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