Denkverbot?

 

Bei der Recherche für den Vorstoss von mir und Samuel Dubno, der will, dass die Stadtpolizei prüft, ob man nicht in den Polizeimeldungen auf die Nennungen der Nationalität verzichtet, habe ich recht lange nach einer Studie gesucht, die beweist, dass Herkunft ein sogenannter kriminogener Faktor sei. Also ein Faktor, der Kriminalität verursacht. Wenn Sie eine Studie suchen, die den Klimawandel in Frage stellt, werden Sie weitaus schneller fündig. Ich habe nämlich keine gefunden. Alle Studien gehen davon aus, dass die Unterschiede der Kriminalitätsrate zwischen SchweizerInnen und AusländerInnen gering sind beziehungsweise verschwinden, wenn andere Faktoren – zuvorderst Alter und Geschlecht, die eben im Gegenteil zur Herkunft als unbestritten gelten –, aber auch Faktoren wie Bildung, Einkommen oder beispielsweise Alkoholkonsum berücksichtigt werden. Genauso wie es auch relativ logisch erscheint, dass Verstösse gegen das Ausländerrecht nur Ausländer betreffen und sie daher nicht aussagekräftig für einen allfälligen Zusammenhang sind.

 

Es wird eher bemängelt, dass in den Kriminalitätsstatistiken gewisse aussagekräftigere Faktoren wie Bildung oder Einkommen fehlen. Der deutsche Strafrechtsprofessor Gerhard Wolf schreibt gar: «Die Tatumstände, die in der Kriminologie auf ihre Gesetzmässigkeit bzw. Häufigkeit hin untersucht werden, sind weitgehend willkürlich hinausgegriffen.» Dadurch sei eine grosse Gefahr von Schindluderei bei diesen Statistiken gegeben. Oder wie es Christian Pfeiffer, der ehemalige Direktor des kriminologischen Instituts Niedersachsen auf den Punkt brachte: «Es ist offensichtlich, dass Politiker die Kriminalitätsstatistik zu politischen Zwecken missbrauchten.»

Im Gegensatz dazu gibt es mindestens zahlreiche Hinweise, dass der Medienkonsum eine Auswirkung auf die Wahrnehmung von Kriminalität hat. Dass also beispielsweise Personen, die viele Nachrichten konsumieren, regelmässig die Kriminalitätsraten überschätzen. Und es gibt ebenfalls Hinweise darauf, dass Strafverfolgungsbehörden selber nicht immer völlig objektiv und wertefrei sind. So ist in den USA beispielsweise bekannt, dass Schwarze viel häufiger im Strassenverkehr kontrolliert werden oder für die gleichen Delikte zu bis zu 10 Prozent längeren Haftstrafen verurteilt werden.

Wir sind nicht in Amerika – aber dennoch wird auch bei uns – unter anderem anhand des Falls «Chikhaoui» – viel über sogenanntes «Racial oder ethnic profiling» diskutiert. Also, dass gewisse Personen anhand ihres (fremden) Aussehens viel häufiger von der Polizei kontrolliert werden.

 

Bis Anfang des neuen Jahrtausends, also vor nicht so langer Zeit, wurde die Nationalität sowohl von der Polizei wie auch von den Medien nur dann genannt, wenn sie einen Beitrag zur Erklärung der Tat lieferte, also für diese relevant ist. Heute ist das noch so, wenn es um die Religionszugehörigkeit geht. Wird zum Beispiel ein Rabbiner aus antisemitischen Gründen umgebracht, dann spielt die Tatsache, dass er Jude war, eine Rolle. Wenn aber ein Jude und ein Katholik zusammen eine Tankstelle überfallen, kann man davon ausgehen, dass das Tatmotiv kaum religiös war.

Diese Praxis ist bei der Nationalität weitgehend gefallen. Zu Beginn wurde noch davon gesprochen, dass man dies durch Einbettung und Analyse ergänzen müsste. Dass also der Schutz vor Diskriminierung durch eine aktive Berichterstattung über Kriminalität, deren Ursachen und Folgen gewährleistet werden könnte. Dieser ergänzende Teil ist in der Berichterstattung weitgehend weggefallen.

In Polizeimeldungen und -statistiken ist der Kontext ebenfalls nicht ersichtlich. Genauso wie der Forschungsstand zum Thema in der Schweiz relativ gering ist – das Bundesamt für Statistik machte zuletzt 1996 eine Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeit und Kriminalität. Auch in den Medien ist kaum mehr zu sehen als die vermeintliche Meldung von dem, was ist – ohne überhaupt noch in Frage zu stellen, ob das wirklich so ist, wie es zu sein scheint.

 

Mir wurde – insbesondere von Medienschaffenden – vorgeworfen, dass ich mich hier für Zensur einsetze. Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen.

Erstens: Es ist ein Unterschied, wie ein privates Medium oder eine staatliche Stelle kommuniziert. Auf das erste habe ich nur bei meiner eigenen Zeitung einen Einfluss. Über die Kommunikation von städtischen Abteilungen – und auch über die Anzahl Kommunikationsbeauftragter – reden wir im Zürcher Gemeinderat in allen Fraktionen gerne – dort kommt aber niemand auf die Idee, weniger Kommunikation sei Zensur.

Zum zweiten: Es ist durchaus auch die Aufgabe von Politik und Medien, vermeintliche Wahrheiten – wie jetzt beispielsweise, dass die Herkunft von TäterInnen für die Straftat relevant sei – in Frage zu stellen. So wie auch diskutiert werden darf, ob sich eine Praxisänderung bewährt hat. Alles andere kommt – um jetzt auch den Zweihänder auszupacken – einem Denkverbot gleich.

 

Ein weiteres, häufig genanntes Argument war, dass die Transparenz eben Vorurteilen vorbeuge. Das bezweifle ich ehrlicherweise, obwohl ich dazu keinen empirischen Beweis habe.

Die politische Diskussion um die ‹Ausländerkriminalität› ist in den letzten Jahren weder abgeflacht, noch sachlicher geworden. Im Gegensatz hat es eher dazu geführt, dass alle mitunter einen objektiven Zusammenhang vermuten, wo es gemäss Wissenschaft keinen gibt. Zudem finde ich – genauso wie auch der Mitunterzeichner – vollständige Transparenz nicht grundsätzlich erstrebenswert und Privatsphäre wichtig.

Nur noch als letzte Randbemerkung. Es gibt zwei weitere Gruppen, gegen die es viele Vorurteile gibt: JournalistInnen und PolitikerInnen. Zum Beispiel finden viele, dass die Mehrheit der JournalistInnen links sei. Jetzt könnte man diesen Vorurteilen ja locker begegnen, in dem jeder Journalist offen legt, was er wählt. Allerdings scheint mir die Sorgfältigkeit der Recherche oder die Gefälligkeit der Schreibe doch relevanter für ein Qualitätsurteil. Das gleiche gilt für PolitikerInnen, wo sich eine Mehrheit stets gegen mehr Transparenz von Mandaten oder Spenden ausgesprochen hat.

Mein Hauptanliegen sind aber weder gläserne Bürger, noch gläserne JournalistInnen oder Politikerinnen. Sondern nur eine ernsthafte und sachliche Diskussion über ein Thema, statt einfacher Abwehrreflexe.

 

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