«Das Gesetz sieht diesen Weg vor»

Bis zu den Stadtratswahlen vom 4. März 2018 befragen wir an dieser Stelle die amtierenden StadträtInnen und die neu Kandidierenden zu einem aktuellen Thema. Den Anfang macht Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) zum Thema Demokratie; die Fragen stellte Nicole Soland.

 

Die BefürworterInnen der Unabhängigkeit Kataloniens berufen sich auf ihre demokratische Volksabstimmung, Madrid reagiert im Namen der Demokratie mit Zwangsmassnahmen: Ihr Kommentar?

André Odermatt: Demokratische Länder haben Verfassungen, die jeweils vorgeben, wie demokratische Prozesse abzulaufen haben. Das ist auch im sehr komplexen «Fall Katalonien» zu beachten. In der Schweiz haben wir mit der Jurafrage einen Prozess durchgemacht, der auch nicht einfach war, aber sich im Rahmen unserer demokratischen Verfasstheit bewegte. Demzufolge müsste es in Spanien eine konstruktive, das ganze Land einbeziehende Debatte geben, in der verschiedene Meinungen ausgetauscht würden – und auch sollten. Doch das dürfte in der aktuell verhärteten Situation schwierig sein.

 

Bis vor wenigen Jahren sei bloss eine kleine Minderheit für einen eigenen Staat gewesen, doch mit ihrer totalen Dialogverweigerung hätten die spanischen Nationalisten erreicht, dass diese Minderheit grossen Zulauf bekam, war im P.S. vom 6. Oktober zu lesen.

Dialogverweigerung ist grundsätzlich keine gute Idee. Erinnern wir uns an die Jurafrage: Auch dort musste man erst einen Dialog starten, über die demokratischen Mittel diskutieren und ein Verfahren definieren. Der Wille dazu war aber beiderseits vorhanden, im Gegensatz zu Spanien. Dafür blieb es zwischen den projurassischen Béliers und den berntreuen Sangliers im Jura damals beileibe nicht gewaltlos. Es gab unter anderem wütende Demonstrationen und Anschläge. Der Prozess dauerte seine Zeit, doch er mündete schliesslich in eine gesamtschweizerische Abstimmung, und danach konnte der Kanton Jura innerhalb des konstitutionellen Rahmens entstehen.

 

Mit dem Hochschulgebiet entsteht ein neues Quartier – und die Direktbetroffenen, sprich die Stimmberechtigten der Stadt Zürich, haben dazu nichts zu sagen. Wo bleibt da die Demokratie?

Dass die Stadt-ZürcherInnen nichts zu sagen haben, mag auf den ersten Blick irritieren, doch der Kanton hat ein Planungs- und Baugesetz, das diesen Weg so vorsieht – und dieses Gesetz ist sehr wohl demokratisch legitimiert. Die Stadt wurde einbezogen und hat ihrerseits alles daran gesetzt, die Bevölkerung einzubinden, unter anderem mit einigen Foren und Runden Tischen. Zudem ist das öffentliche Interesse des Kantons am Hochschulgebiet mit dem Unispital, der Uni und der ETH gegeben; es geht um die Erneuerung einer überregionalen Arbeitsplatz- und Forschungsinfrastruktur, keines städtischen Wohnquartiers.

 

Es ist demnach alles demokratisch und gut, auch ohne Abstimmung?

Das Planungs- und Baugesetz hat der Kantonsrat erlassen, in dem VertreterInnen von Stadt und Land präsent sind – und die im Übrigen demokratisch verfasste Möglichkeiten hätten, das Prozedere zu ändern. Kommt hinzu, dass eine Abstimmung, wenn es denn eine gegeben hätte, vermutlich eine auf Kantonsebene gewesen wäre – und ich denke nicht, dass sich dort die GegnerInnen durchgesetzt hätten. Auch die Verlängerung des Trams nach Schwamendingen oder in jüngerer Vergangenheit der Gestaltungsplan Swiss Mill Tower wurden in den betroffenen Quartieren mehrheitlich abgelehnt, von einer Mehrheit der StädterInnen jedoch gutgeheissen und sind damit demokratisch legitimiert.

 

Es gibt nebst den in der Verfassung vorgesehenen Möglichkeiten weitere Mittel, ‹demokratisch› mitbestimmen zu lassen, etwa in partizipativen Prozessen.

Die Partizipation ist mir ein sehr grosses Anliegen, seit ich vor über sieben Jahren mein Amt als Hochbauvorsteher angetreten habe: In der Planung soll die teilnehmende Mitwirkung neben den demokratisch verfassten Rechten und den Rekursmöglichkeiten einen festen Platz haben. Das ist ein Gebot der Zeit. Im Rahmen solcher Prozesse werden in den Quartieren und mit den direkt betroffenen Menschen Diskussionen geführt und Projekte angestossen. So entstanden etwa ein Leitbild für Wollishofen oder das Quartierentwicklungsleitbild für Altstetten, in dessen Rahmen auch der Entscheid gegen die geplante Tramführung zum Bahnhof Altstetten konkret wurde. Um aufs Hochschulquartier zurückzukommen: Dort war es für die Stadt wichtig, dass es einen stadträumlichen Wettbewerb gab, für den drei Teams ihre Vision für diesen Stadtteil ausloteten und in die sie Anliegen aus dem Quartier einfliessen liessen. Ich hatte in diesem Prozess die Rolle des Botschafters der Stadt. Ich erlebte ihn als sehr spannend und für die Planung wichtig.

 

Böse Zungen behaupten dennoch, es werde sowieso gemacht, was von Anfang an vorgesehen gewesen sei – Partizipation hin oder her.

Bei allen Partizipationsprozessen gilt es am Anfang zu klären, in welchem Rahmen die Bevölkerung mitwirken kann und wo die Grenzen sind. Wenn beispielsweise eine Gruppe in einem solchen Prozess ein Anliegen formuliert, mit welchem ein rekursberechtigter Nachbar nicht einverstanden ist, dann bleibt der Wunsch möglicherweise unerfüllt. Mich beschäftigen aber auch die Schwierigkeiten, die Bevölkerung zu erreichen; auch wenn man versucht, möglichst breit einzuladen, sind beispielsweise die Jugendlichen in der Regel untervertreten. Trotz allem ist die Planung in Zürich sehr demokratisch verfasst, und das ist gut so.

 

Der Regierungsrat streicht genau die Punkte, um die der Gemeinderat den Gestaltungsplan Überlandstrasse ergänzt hatte, wieder raus. Auch das wirkt auf den ersten Blick nicht sehr demokratisch…

Ich verstehe die Enttäuschung. Aber das demokratisch legitimierte Planungs- und Baugesetz gibt vor, was man in einen Gestaltungsplan hineinschreiben darf und was nicht. Wenn die Fassadenbegrünung, der Ausnützungsbonus für subventionierten Wohnungsbau oder die überdachten Veloplätze dazugehörten, hätte der Regierungsrat sie beim Gestaltungsplan Überlandpark genehmigt. Das heisst aber nicht, dass etwa die Fassadenbegrünung nicht trotzdem entstehen kann. Einfach auf einem anderen Weg.

 

Ihre Lust, den Austritt der Stadt Zürich aus dem Kanton zu fordern, hält sich also in Grenzen?

Solche Ideen werden immer mal wieder hervorgekramt (lacht). Doch Zürich lebt gut im Verbund mit der Region. Der Raum Zürich reicht weit über die Stadtgrenzen hinaus, und ich bin überzeugt, dass wir mehr verlieren als gewinnen würden, wenn wir kleingeistig einen eigenen Kanton gründen wollten.

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