«Blöd nur, dass Schweine und Hühner kein Gras fressen»

Die Schweiz ist umwelttechnisch im Wandel. Die Mobilität wird elektrisiert, das Wohnen konzentriert, an die Ernährung hat sich bisher jedoch noch niemand gewagt. Dies ändert sich mit der Abstimmung zur «nachhaltigen Ernährung» vom 26. November. Der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena und Meret Schneider von der Geschäftsleitung des Vereins Sentience Politics im Streitgespräch mit Julian Büchler.

 

Die Energiestrategie 2050 auf nationaler Ebene und das Ja zur 2000-Watt-Gesellschaft zeigen, dass es der Stadtbevölkerung ernst ist mit Umweltanliegen. Bisher wurde bei der Mobilität und beim Wohnen viel gemacht. Ist es nicht logisch, da auch die Ernährung miteinzubeziehen?

Mauro Tuena: Für mich geht es einmal mehr um eine Bevormundung. Ich bin fester Überzeugung, dass unsere Bevölkerung alt und mündig genug ist, um selber beurteilen zu können, was und in welchen Mengen sie essen soll. Wir haben es in letzter Zeit immer stärker mit linker Bevormundungspolitik zu tun – man will uns zwingen, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen, anders zu heizen und noch vieles mehr. Dies in einem Land, in dem ich nach dem freiheitlichen Gedanken leben möchte. Wenn das so weitergeht, dann ist unsere Gemeindeordnung – es geht hier nicht um eine ‹Pippifax›-Kampagne, nein, es geht um eine Änderung der Stadtzürcher Verfassung – bald überfüllt mit Sachen, die schlichtweg nicht in eine Verfassung gehören.

Meret Schneider: Nur kurz zum Zwang: Ich sehe den Zwangsaspekt nicht. Der Gegenvorschlag des Gemeinderates sieht lediglich vor, dass die Stadt Zürich eine umweltschonende Ernährung fördert und Aufklärungsarbeit leistet zu den Folgen und Auswirkungen der Ernährung aufs Klima. Der Konsument möchte Transparenz und Informationen. Eine Umfrage des Bundes hat gezeigt, dass sich über 80 Prozent der KonsumentInnen um das Tierwohl kümmern und wissen wollen, woher ihre Lebensmittel kommen und unter welchen Bedingungen diese produziert wurden bzw. wie die Tiere gelebt haben. Diese Transparenz stellt die Initiative her.

MT: Aber das muss doch nicht in die Verfassung! Das machen die Grossverteiler und Detailhändler bereits heute freiwillig. Eure Initiative ging ja noch weiter.

MS: Unsere Initiative ist hier nicht das Thema, da wir sie zugunsten des Gegenvorschlags zurückgezogen haben. Für mich ist es schwer nachvollziehbar, wie ihr mit dem Zwangsargument kommen wollt, wenn es um die Aufklärung der Bevölkerung geht.

MT: Wenn ich mich erinnere, was ihr alles in diese Verfassung geschrieben habt – ich darf ja fast nicht mehr autofahren, auch wenn ich dies für Geschäftszwecke brauche. Aber ihr könnt uns das Auto nicht wegnehmen, da in der Bundesverfassung die freie Wahl des Verkehrsmittels verankert ist. Dass ein Verbot nicht in eine Gemeindeordnung kommt, ist euch klar, ihr umgeht dies aber geschickt, indem ihr gesetzeskonforme Massnahmen hineinmogelt, um uns das Autofahren zu verunmöglichen. Tempo 30 und der Parkplatzabbau sind nur zwei Beispiele, die aufzeigen, wie der Zwang entsteht. Auch die Elektroautos stehen beispielhaft dafür, aber mit denen habt ihr euch ins eigene Fleisch geschnitten. Wenn jeder elektrisch fährt, könnt ihr eure Energiewende vergessen. Gleichzeitig seid ihr es, die sich gegen jedes geplante Windrad wehren. Von der Entsorgung der ausgedienten Akkus erst gar nicht zu reden.

MS: Das betrifft den Heimatschutz und nicht die Grünen.

 

Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück, warum die Politik bisher die Ernährung als umweltbelastender Faktor in den politischen Massnahmen ausgelassen hat.

MS: Um es mit den Worten von Al Gore zu sagen, «es ist die unbequemste Wahrheit». Der Mensch muss sich damit konfrontiert sehen, dass seine bisherige, bequeme Lebensgestaltung nicht zukunftsfähig ist. Jeden Tag Fleisch essen kann nicht funktionieren, wenn man die Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft betrachtet. Wir importieren in der Schweiz 430 000 Tonnen Soja aus Brasilien, um es unseren Nutztieren zu verfüttern.

MT: Ich betone nochmals, dass ich fester Überzeugung bin, dass jeder Bürger genug mündig ist, um selber zu entscheiden, wie viel Fleisch gut für ihn ist oder ob ausschliesslich Gurken und Tomaten besser sind.

MS: Es geht nicht darum, ob es dir guttut, es geht über die Gesundheit eines Einzelnen hinaus.

MT: Von eurer Seite her ist niemand dagegen, dass die Weltbevölkerung wächst, wie sie wächst. Wenn dies weiterhin so bleibt, müssen wir immer mehr Leute ernähren.

MS: Genau das ist der Punkt. Die Ressourcenverschwendung in der Fleischproduktion ist enorm. Mit einer rein pflanzlichen Ernährung könnten wir bereits heute vier Milliarden Menschen zusätzlich ernähren, indem wir die Getreide- und Sojaproduktion nicht den Nutztieren, sondern den Menschen verfütterten. Es geht auch hier um Aufklärung und nicht um ein Verbot.

MT: Es gibt ja mehr als genug für Vegetarier und Veganer, alleine an der Langstrasse befinden sich drei vegetarische Restaurants. Reicht euch das nicht? Muss denn etwas so Unnötiges noch in die Verfassung geschrieben werden?

MS: Es geht hier um öffentliche Einrichtungen, und nicht um private. Es muss ein Ziel der Stadt Zürich sein, auch angesichts des Volks-Ja zur 2000-Watt-Gesellschaft, in den drei wichtigsten Bereichen der Umweltbelastungen einen Fortschritt zu erreichen. Diese drei Bereiche sind Wohnen, Mobilität und Ernährung.

MT: Die 2000-Watt-Gesellschaft ist unrealistisch. Heute bewegen wir uns bei 4600 Watt. Wir sind meilenweit davon entfernt. Ich möchte dann deine grünen Kollegen sehen, wenn sie danach leben und keinen Fernseher mehr zuhause haben, sich in der Stadt durch dunkle Gassen bewegen und im Winter bei 20 Grad in der Wohnung frieren.

 

Die Stadtbevölkerung hat Ja gesagt zum Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft, zweifelt die SVP etwa den Souverän an?

MT: Nein, aber dieses Ziel wird nicht eingehalten werden können. In verschiedenen autofreien Siedlungen hat sich gezeigt, dass mit auswärtigen Parkplätzen gemogelt wird, weil die Leute merken, dass es ohne Auto nicht geht. Zeigt uns doch einmal zuerst, dass es sich so leben lässt, wie ihr propagiert.

MS: Wir sind beide nicht in der Lage, aus unseren Positionen darüber objektiv zu urteilen. Ich glaube, dass hier Einzelfälle verallgemeinert werden, deshalb will ich hier weder zustimmen noch widersprechen. Dies ist zudem auch überhaupt nicht relevant für die Vorlage, die die Ernährung betrifft.

MT: Doch! Deswegen habe ich unsere Aktion auch «Tag der linken Bevormundung» genannt. Die Linke will uns vorschreiben, wie wir zu leben haben, in verschiedenen Bereichen. Man kann alles in die 2000-Watt-Gesellschaft hineininterpretieren. Als nächstes verbietet ihr die Gurkenproduktion, weil es dafür zu viel Wasser braucht.

MS: Die Ernährung ist zu 30 Prozent für die Umweltbelastung verantwortlich, der grösste Teil davon geht auf die Nutztierhaltung zurück. Diese braucht viel Fläche, die wir nicht für den Nahrungsmittelanbau nutzen können. Es werden Nahrungsmittel an Tiere verfüttert, die uns dann fehlen. Ich spreche deshalb von einer Verschwendung von Ressourcen, da beispielsweise für ein Kilo Rindfleisch bis zu 13 Kilo Getreide benötigt wird. Dies ist gerade angesichts des steigenden Welthungers zu überdenken, und dazu ist die Aufklärung seitens der Stadt wichtig. Coop und Migros stocken gerade ihr veganes und vegetarisches Sortiment auf – bei weitem nicht aus Goodwill, sondern weil sie gemerkt haben, dass der Markt danach verlangt. Dieser Entwicklung sollte der Staat Rechnung tragen.

MT: Sie tun es freiwillig, auch ohne Zwang in der Gemeindeordnung. Solange alles auf Freiwilligkeit basiert, ist mir das recht. Ich will niemandem verbieten, einen veganen Burger zu essen, aber ich will auch nicht, dass man mir verbietet, mein Steak zu essen. Wenn alle so essen würden, wie du es propagierst, müssten ja unzählige Gurken- und Tomatenfelder entstehen, dafür braucht es viel Wasser und im Winter Energie, um die Gewächshäuser zu heizen. Ihr habt wiedermal nicht zu Ende gedacht.

MS: Es ist sehr wohl zu Ende gedacht. Alle Getreide- und Sojaflächen, die heute genutzt werden, um die Nutztiere zu ernähren, und die Fläche, die die Nutztiere selber benötigen, können für einen Nahrungsmittelanbau verwendet werden, der direkt für die Nahrung von uns Menschen dient, ohne Umweg über das Tier.

 

Mauro Tuena spricht die Ökobilanz von Gemüse und Früchten an. Ist es nicht sinnvoller, Schweizer Fleisch zu essen, anstatt Sojaprodukte und exotische Früchte aus fernen Ländern zu importieren?

MS: Erstens enthält die Vorlage auch den Aspekt der Aufklärung bezüglich Saisonalität. Im Winter sind Tomaten genau so fehl am Platz wie Erdbeeren zu Weihnachten. Zweitens geht es bei einer nachhaltigen Ernährung zentral um die benötigte Energie und den CO2-Ausstoss, darin enthalten sind Anbau, Zucht und Transport.

Meine Mango kann ich gemessen am CO2-Ausstoss zweimal um die Welt fliegen lassen – dabei hat sie immer noch die bessere CO2-Bilanz als Rindfleisch, weil der Transport zwar mehr CO2 verbraucht, die Herstellung von Rindfleisch dies jedoch um ein Vielfaches übertrifft. Das Rind hat sein Leben lang zum grössten Teil ausländisches Futtermittel konsumiert, das ebenfalls in die Schweiz transportiert wurde, die Zucht bzw. Pflege braucht ebenfalls Energie, und das Tier stösst zudem beim Atmen weitere Gase aus, die unser Klima schädigen.

MT: Ich möchte gerne deinen Gedanken etwas weiterziehen. Jeder, der sein Kotelett isst, soll also nun etwas anderes essen, das möglichst nachhaltig und saisonal produziert wurde. Du hast richtigerweise gesagt, wie viel Fleisch konsumiert wird in diesem Land. All die Leute, die nicht mehr Fleisch essen sollen, können ja nicht nichts mehr essen. Wir haben gar nicht genug Alternativen dafür, das fördert nur die Tendenz, dass mehr Nahrungsmittel importiert werden müssen, was auch nicht ökologisch ist.

MS: Für unsere Nutztierproduktion wird in Brasilien eine Fläche von 250 000 Hektaren benötigt, um darauf Futter für unsere Kühe und Schweine anzubauen. Das ist ein Viertel der gesamten Ackerbaunutzfläche der Schweiz – von Ernährungssicherheit kann nicht die Rede sein. Dieses Futter muss auch in die Schweiz kommen, und genau deswegen ist die Ökobilanz von Fleisch so schlecht. Zudem wird für diese Fläche Regenwald gerodet, um dies nur am Rande noch zu erwähnen.

 

Ist es nicht so, dass viele Leute gar keine Ahnung von den Alternativen haben? Man hört oft den Satz, dass VeganerInnen ja gar nichts mehr essen könnten. Schafft die Initiative hier durch die Informationspflicht nicht Abhilfe?

MT: Wenn dem so wäre, handelt es sich um reine Geldverschwendung. Die Stadt Zürich müsste Plakatkampagnen und Inserate machen auf Kosten des Steuerzahlers, die dann linken Institutionen und der linken Presse noch Geld bringt. Wenn unbedingt etwas in diese Richtung getan werden soll, kann man das mit einem Appell an die Grossverteiler und in seinem eigenen Umfeld tun, das kostet dann auch den Steuerzahler nichts.

MS: Organisationen wie die «Vegane Gesellschaft Schweiz» sind bereits in engem Kontakt mit den Grossverteilern und haben viel erreicht. Wenn wir diese Arbeit gefordert hätten, wäre von euch nur das Argument gekommen, dass wir den Privaten hineinpfuschen würden. Hier geht es um städtische Betriebe und somit nicht um die privaten.

 

Ein Anliegen der Schweizer Bevölkerung ist die Ernährungssicherheit. Wie wollen Sie diese garantieren, wenn der grösste Teil des Futtermittels für unsere Nutztiere aus dem Ausland stammt?

MT: Darüber müssen wir nicht mehr reden, das war Thema bei der Initiative für Ernährungssicherheit. Es gibt verschiedene Lösungen im Konfliktfall. Ich bin der Meinung, dass diese Tiere möglichst unser Wasser und unser Gras fressen sollen.

MS: Blöd nur, dass Schweine und Hühner, die einen beträchtlichen Anteil der Fleischproduktion ausmachen, kein Gras fressen.

MT: Es geht nicht nur darum, dass unsere Tiere ausländisches Futtermittel fressen, es stellt sich die Frage, warum wir so viele Nahrungsmittel brauchen, und da hat die Masseneinwanderung viel dazu beizutragen, das ist ein Faktum.

MS: Mit der Schuldzuweisung aller Probleme auf die Migration benimmst du dich wie die Juso, die bei jedem Problem sagen, «daran ist der Kapitalismus schuld».

 

Ein Statement zum Schluss?

MT: Ich bin gegen Zwänge. Wir leben in einem Staat, in dem der Bürger mündig ist und selbst entscheiden kann, was er essen will, und sich seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und unserem Planeten bewusst ist.

MS: Wer hätte das gedacht, da finden wir zum Schluss einen gemeinsamen Nenner. Ich will auch einen mündigen Konsumenten, und mündig ist man, wenn man seine Entscheide auf der Basis von Information fällt. Wer keine Information über zwei Produkte hat, kann nicht rational entscheiden. Dies wird mit der Annahme dieses Gegenvorschlags verbessert, weshalb er den KonsumentInnen etwas bringt und sie zu nichts zwingt.

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