«Bei uns darf man auch Fehler machen»

 

Der Jugend eine Stimme geben – mit diesem Ziel vor Augen haben die Vorstandsmitglieder des Zürcher Jugendparlaments gekämpft. Ihr Engagement scheint notwendig, schliesslich hinkt Zürich als bevölkerungsreichster Kanton bezüglich Jugendmitspracherecht im schweizweiten Vergleich weit hinterher. 

 

Julian Büchler

 

«Wir spüren eine grosse Erleichterung, auf unserem langen und teils steinigen Weg ein wichtiges Stück weitergekommen zu sein», freuen sich Sarah Schmid, Severin Seliner und Dominic Täubert. Sie und Ihr Verein Jugendparlament Zürich riefen in den letzten Monaten eine für sie «ganz und gar überfällige» Organisation ins Leben: das Jugendparlament Kanton Zürich. Das neue Sprachrohr der Jugend, wie es der Vorstand gerne bezeichnet, wurde zum ‹JugendPolitikTag› vom 4. November durch Jaqueline Fehr  (SP) im Namen des Regierungsrates offiziell anerkannt.

 

Mitbestimmungsrecht für alle

Nach der energiezerrenden Aufbau- und Bewerbungsphase wollen sich die drei jedoch keinesfalls zurücklehnen. Die Vorbereitungen für die erste Jugendsession des Kantons Zürich im kommenden Frühling laufen auf Hochtouren, wie die drei stolz erzählen. «Unser Ziel ist es, den Jugendlichen aufzuzeigen, dass sie mitbestimmen können und unsere Ansichten in der Bevölkerung wahrgenommen werden.» Mitbestimmen darf beim Jugendparlament jede und jeder zwischen 12 und 21 Jahren, die bzw. der im Kanton Zürich wohnt – einen Schweizer Pass braucht es nicht. «Dies soll auch jungen Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl von Akzeptanz und Mitbestimmungsrecht geben, was mir sehr wichtig ist», betont Severin Seliner.

 

Die Frage nach den politischen Zielen sei schwierig zu beantworten, da das Jugendparlament eine Plattform für Jugendliche aller politischen Meinungen sei, so Sarah Schmid. Den Vorwurf einer linken Institution, wie es im Kantonsparlament von bürgerlicher Seite her durchschimmerte, lassen die drei nicht gelten. Die Jugend sei keine homogene Masse. Diese Diversität will das Jugendparlament widerspiegeln. Dass sich gerade auch einige Jungparteien gegen ihr Vorhaben ausgesprochen haben, gibt ihnen zu denken. «Wir nehmen den Jungparteien nicht ihre Mitglieder weg, im Gegenteil. Durch das Wecken von politischem Interesse holen wir die zukünftigen Mitglieder der Jungparteien ab und fördern so deren Zulauf», wehrt sich Dominic Täubert. Mit der Plattform soll ein lockerer Rahmen entstehen, in dem Jugendliche erste politische Erfahrungen sammeln können, aber auch Fehler machen dürfen.

 

Neben den Diskussionen wollen die drei in Zukunft den politischen Handlungsspielraum nutzen. Durch die offizielle Anerkennung wird das Jugendparlament ein zukünftiger Partner des Kantons- und Regierungsrates, wenn es um die Jugend betreffende Inhalte geht. Konkrete Forderungen können sie via  Petitionsrecht  ins politische Spiel einbringen.

 

Politisches Interesse vorhanden

«Die Jugend macht einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft aus, sie ist die zukünftige Generation, die am meisten von den heutigen Entscheidungen betroffen ist, und trotzdem kann sie weder auf nationaler, kantonaler noch kommunaler Ebene gross mitbestimmen», kritisiert Severin Seliner. «Die meisten KantonsrätInnen könnten unsere Eltern sein», witzelt Sarah Schmid. Im Gegensatz dazu hat die heutige Jugend damit zu kämpfen, dass sie als unpolitisch abgestempelt wird. Dagegen wehren sich die drei vehement. Ob jemand politisch interessiert ist oder nicht, zeige sich nicht nur darin, ob die Person einer Partei beitritt. Viele Jugendliche hätten einzelne Bedürfnisse, für die sie auch politisch einstehen und sich engagieren. «Wir sehen unsere Plattform als etwas, worauf viele Jugendliche im Kanton Zürich gewartet haben», verrät Dominic Täuber optimistisch.

 

Fehlende Rebellion?

Auf die Frage, ob die heutige Jugend nicht viel zu konform und brav agiere, entgegnen die drei, dass die heutige Jugend den rebellischen Eindruck, den Jugendliche vergangener Generationen hinterlassen haben, nicht weitertragen müsse, um sich politisches Gehör zu verschaffen. Das Jugendparlament zeige, dass sich politisches Mitbestimmungsrecht und Konformität nicht gegenseitig ausschliessen. Severin Seliner gibt zu bedenken, dass viele Respekt vor den möglichen Folgen eines aufmüpfigen Verhaltens hätten. Durch die vielen Überwachungsinstrumente sei die Rebellion heutzutage viel schwieriger geworden. Sarah Schmid ergänzt, dass sich durch die voranschreitende Digitalisierung die Rebellion der Jugend in die digitale Welt verschiebt. «Ein Shitstorm kann ebenso politisch und rebellisch sein wie eine Demonstration auf der Strasse.»

 

Ihr Engagement im Vorstand des Jugendparlamentes kommt bei allen drei nicht von ungefähr. Ob durch Medien, das Elternhaus oder in der Schule – politisiert wurden sie alle. Welche konkreten Themen das neue Jugendparlament im März behandeln wird, können die drei noch nicht sagen. «Ein grosser Teil der Entscheidung liegt bei den TeilnehmerInnen und wird am Anlass direkt beschlossen», so Dominic Täuber. Sie selber könnten zwar Inputs geben und somit die thematische Stossrichtung beeinflussen, was die Jugendlichen dann beim Debattieren hervorbringen, sei nicht vorhersehbar.  Seit der offiziellen Anerkennung durch den Regierungsrat haben sie einen grossen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnen können, nicht zuletzt auch aufgrund der Medienpräsenz.  «Daraus schöpfen wir Mut und Kraft zu neuen Aktionen – man wird in Zukunft mehr von uns hören», verrät Sarah Schmid vielversprechend.

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