‹Arbeitslos› trotz Arbeit

Klein, praktisch eingerichtet, es hat, was man braucht. Viele Leute kennen sich, die hier im Kafi Klick ein- und ausgehen. Ein Ort, wo sich bedürftige Menschen treffen können, um einen Kaffee zu trinken, das Internet zu benutzen und um zu merken, dass das Phänomen der Arbeitslosigkeit nicht nur sie alleine, sondern eine ganze Masse betrifft.

 

Julian Büchler

 

Die Uno-Vollversammlung hat vor zwei Jahren die Entwicklungsziele der Agenda 2030 beschlossen. Die 17 Ziele wurden von allen Mitgliedsstaaten unterschrieben, so auch von der Schweiz. Hauptziel soll sein, Armut und ihre Erscheinungsformen zu beenden. Es geht aber auch um Wirtschaftswachstum und daraus resultierende faire Arbeitsbedingungen für alle. Vergangenen Dienstag fand zum 25. Mal der internationale Tag zur Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung statt. Seit der Einführung 1992 ist Armut jedoch trotz ambitionierter Ziele grösser anstatt kleiner geworden – nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch in vielen europäischen Industriestaaten. Dagegen müsse angekämpft werden, sind die beiden Co-Leiter des Kafi Klick, Stefan Hochueli und Fabio Weiler, überzeugt. Deshalb organisierten sie am Dienstag ein Podiumsgespräch zum Thema Niedriglohnsektor und zweiter Arbeitsmarkt – Themen, mit denen sich viele Armutsbetroffene konfrontiert sehen.

 

Der paradoxe zweite Arbeitsmarkt

Beschäftigungsprogramme, Sozial- und Übungsfirmen, Qualifizierungsmassnahmen. Peter Streckeisen, Soziologieprofessor an der Uni Basel, sprach in seinem Referat von vordergründig gut klingenden Begriffen, die viel von dem, was sie eigentlich aussagen, verdecken. «Zusammengefasst sind dies alles Einrichtungen, in denen Menschen beschäftigt werden, dort arbeiten, aber trotzdem ‹arbeitslos› sind.» Dies sei das Paradoxe an der ganzen Situation. Die betroffenen Menschen sind arbeitslos in dem Sinne, dass sie kein Erwerbseinkommen haben, obwohl sie einer Beschäftigung nachgehen. Besonders störend für Peter Streckeisen: Die Jobs, die von Staat und Unternehmen unter dem Vorwand des guten Willens angeboten werden, sind weder ausreichend bezahlt noch freiwillig.

 

In der Fachsprache spricht man vom zweiten Arbeitsmarkt. Dieser ergänzende Markt, der vom Staat geschaffen wurde, sei aber nur nötig, weil der klassische, erste Arbeitsmarkt Menschen «ausspuckt», so Peter Streckeisen weiter. «Der zweite Arbeitsmarkt suggeriert, Menschen wieder in den ersten zu integrieren, was aber angesichts der schlechten Quoten von um die 30 Prozent sehr fragwürdig ist», kritisiert der Soziologe. Für ihn stellen sich mehrere Fragen. Führt dieser zweite Arbeitsmarkt nicht dazu, dass Jobs im ersten Arbeitsmarkt gestrichen werden? Wieso müssen Menschen, die von der Sozialhilfe leben, Jobs übernehmen, die sonst niemand aus unserer Gesellschaft tun will? Wie kann man rechtfertigen, dass Menschen dazu gezwungen werden, im zweiten Arbeitsmarkt zu arbeiten?

 

Für die Unternehmen, egal ob staatlich oder privat, habe man mit diesem System viele Anreize geschaffen, ärgert sich Streckeisen. So vermutet er, dass es sich aus wirtschaftlicher Sicht nahezu lohnt, ‹echte›, einfache Jobs zu streichen und dem Staat für seine Integrationsarbeit zur Verfügung zu stellen. Anstatt branchenübliche Löhne zu bezahlen, würden die Unternehmen dann staatliche Subventionen erhalten.

 

Rolle des Staates

Bei genauerer Untersuchung werde klar, dass der Staat aus früheren Problemen neu Lösungen machen wolle, so Streckeisen weiter. Probleme wie die Unterbezahlung von Arbeitskräften, inkonstante Arbeitszeiten und Mini-pensen waren den Gewerkschaften längere Zeit ein Dorn im Auge. Dass jemand mit einem Vollzeitjob nicht über die Runden kam, wollten sie anpacken. So begann man, mit Gesetzen und Regulierungen diese Phänomene zum Verschwinden zu bringen.

Dass genau diese Phänomene seit einigen Jahren als Lösungen im zweiten Arbeitsmarkt verkauft werden, sei mehr als fragwürdig. «Heute heisst es vonseiten der Sozialbehörden, dass Mini-Jobs geschaffen werden sollten, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen – frei nach dem Motto, «besser schlechte als gar keine Arbeitsplätze», so die Meinung des Soziologen.

 

Rechtfertigungen

Besonders kritisch beurteilt der Soziologe die rechtfertigenden Argumente. «Die Jobs im zweiten Arbeitsmarkt führen Studien zufolge nicht zu einem markanten Mehrerfolg in der Integration von sozialhilfebeziehenden Menschen.» Das Versprechen der Unterstützung könne bei weitem nicht eingehalten werden. Er vermutet, dass es beim System des zweiten Arbeitsmarktes in erster Linie um ein grundsätzliches Prinzip geht – nur wer arbeitet, wird gesellschaftlich anerkannt. «In unserer leistungsorientierten Gesellschaft dient Arbeit nicht nur zur Identifizierung, sie ist auch stark mit dem Wert einer Person verknüpft. Der Umgang mit und das schlechte Image von Arbeitslosen spielt der Gesellschaft insofern in die Karten, als dass Erwerbstätige alles tun, um ihren Job nicht zu verlieren.

 

Allzweckwaffe bedingungsloses Grundeinkommen?

Wenn es um Massnahmen gegen die Erwerbslosigkeit geht, sieht Peter Streckeisen mehrere Ansatzpunkte. Einerseits muss der Zwang zu Jobs im zweiten Arbeitsmarkt aufgehoben werden. Dies mache die betroffenen Menschen erpressbar, da man ihnen bei Nichtbefolgung mit finanziellen Kürzungen der Sozialhilfe drohen kann. Um mehr Stellen zu schaffen, habe man in Frankreich beispielsweise zu Zeiten der Wirtschaftskrise die ‹travaux public› gekannt – staatlich geschaffene Stellen im öffentlichen Sektor, um die Erwerbstätigkeit zu stärken. «Eine weitere, revolutionärere Lösung könnte auch das bedingungslose Grundeinkommen darstellen.» Wie dieses funktionieren würde und welche Aspekte zur Verbesserung der Situation von Arbeitslosen zu berücksichtigen wären, müsste dann noch diskutiert werden.

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