Arbeitsklima

Kürzlich hörte ich davon, dass Verkäuferinnen und Verkäufer von Tankstellenshops für nicht bezahlte Tankfüllungen jeweils selber aufkommen müssen, was manchmal bis zu drei Mal in der Woche vorkomme. Als ich – vor wirklich vielen Jahren – als Nebenjob in einem Coop Restaurant arbeitete, war das ebenfalls Usus. Wenn die Kasse am Abend nicht stimmte, wurde der Fehlbetrag vom Lohn abgezogen. Ich erinnere mich, wie nervös die Stimmung wurde, wenn es am späteren Nachmittag jeweils um die Abrechnung ging, ich erinnere mich, wie die Mitarbeitenden im Team versuchten, die Schuld den anderen zuzuschieben, damit man nicht selber zahlen musste, und wie dann die Betroffene nicht selten in Tränen ausbrach, einfach weil es bei einem ohnehin tiefen Lohn schnell an die Existenz geht.

 

Ich erinnere mich, wie wir alle nicht wussten, dass das schlicht rechtswidrig war. Und auch, dass sich ohnehin niemand gewehrt hätte, weil, wer macht das schon, wenn man froh ist, überhaupt eine Arbeit zu haben und man deshalb schweigt, weil die Konsequenzen noch schlimmer wären als die Angst, mit der man täglich zur Arbeit geht?
Als wir am Sonntagabend das Wahlergebnis feierten, hatte ich gemischte Gefühle. Ich musste mich erst ein wenig daran gewöhnen, dass wir eigentlich gewonnen hatten, dass das Ergebnis auch dann ein Erfolg ist, wenn halt nicht die eigene Partei Sitzgewinne bejubeln kann, sondern das Lager an sich. Ich schaute mir die Menschen an an dieser Feier und hörte jenen zu, die vorne auf der kleinen Bühne standen und dankten. Den Genossinnen und Genossen, die in diesem Wahlkampf Unglaubliches geleistet haben. Und vor allem auch den Campaignerinnen und Campaignern, den Mitarbeitenden des Sekretariats, die es erst möglich gemacht haben, dass wir in diesem Wahlkampf so nahe bei den Menschen waren wir nie zuvor. 30 000 persönliche Gespräche am Telefon, unzählige Standaktionen, Tür-zu-Tür-Runden durch alle Quartiere im ganzen Kanton. Alle dankten sie jenen, die durch ihren täglichen Einsatz hier im Sekretariat dafür sorgen, dass die Partei funktioniert, auch neben den Bühnen und dem Scheinwerferlicht.

 

Und ich hatte, an diesem Abend, das sichere Gefühl, dass dieses grosse und grossartige Team all den Strapazen zum Trotz jeweils mit Freude an die Arbeit gegangen ist. Weil es eine Arbeit ist, die uns alle von ganz innen heraus motiviert und weil niemand Sanktionen fürchten muss, wenn einmal etwas schief geht. Weil es eine Arbeit ist, die gerade von jenen aufrichtig wertgeschätzt wird, für die sie schliesslich gemacht wird. Die Exekutivmitglieder, die Fraktionen, die Genossinnen und Genossen an der Basis. So jedenfalls ging es mir an diesem Sonntagabend. Was für ein Privileg, dachte ich.

 

Gerade wegen Angestellten wie den Verkäuferinnen vom Tankstellenshop sind diese Wahlen eben tatsächlich ein Erfolg. Die gemischten Gefühle vom Sonntag wichen schliesslich einer grossen Erleichterung, dass das politische Lager, das genau diesen Menschen in prekären, beklemmenden, unfreien und nicht wertgeschätzten Arbeitsstellen eine Stimme gibt, grösser geworden ist. Mit den zusätzlichen grünen Sitzen haben wir auch zusätzliche Sitze für einen Kanton mit einem etwas grösseren sozialen Verantwortungsgefühl gewonnen. Es reicht freilich nicht für eine Mehrheit. Aber wer weiss, vielleicht vergisst ja auch die GLP jene Menschen künftig nicht mehr, die tagtäglich unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Das wäre ja dann irgendwie auch was fürs Klima. Das am Arbeitsplatz halt.

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