Alles wird gut

Bei zwei Parteien, scheint es, überschlagen sich die Medien vor guten Ratschlägen, was und wie sie es doch besser machen könnten: Bei der SP und der FDP. Das mag daran liegen, dass sich viele JournalistInnen einer der beiden Parteien nahe fühlen oder sich ungefähr zwischen den beiden Parteien positionieren. Ein in der Politik äquivalentes Phänomen ist die Nos-talgie nach dem früheren politischen Gegner, der natürlich viel besser war als der heutige. Früher, sagen viele Rechte, da gab es noch vernünftige Sozis. Die nicht so jusofiziert und genderwahnsinnig waren. Oder die noch echte Büezer waren. Auf jeden Fall konnte man mit denen noch reden. Die gleiche Nostalgie gibt es aber auch umgekehrt. Der Patron mit dem goldenen Herzen. Der bildungsbürgerlich kulturinteressierte Liberale – vom Zürichberg oder aus dem Basler Daig – mit sozialem Engagement. Dabei geht vergessen, dass es auch früher Ideologen gab – hüben wie drüben – und die Auseinandersetzung wohl in etwa gleich verlief. Dennoch gab es diese Prototypen natürlich, den kultursinnigen Liberalen genauso wie den pragmatischen Gewerkschafter mit Arbeiterhintergrund.

 

Dieser liberale Prototyp scheint mir allerdings eine vom Aussterben bedrohte Art. In den Exekutiven, in der Verwaltung und ausserhalb der Politik hat es noch das eine oder andere Exemplar – in den Parlamenten sind sie verschwunden. Und wenn man sich die Jungfreisinnigen so betrachtet, so kommen wohl auch keine nach. Ganz im Gegenteil: Heute scheint schon unter Linksverdacht, was früher allgemeiner Konsens war: Soziale Marktwirtschaft etwa oder funktionierende staatliche Institutionen. Wenn ein NZZ-Journalist die Roche-Erbin Beatrice Oeri zur Linken macht, bloss weil sie die ‹TagesWoche› unterstützte, wenn es für den gleichen Journalisten schon ehrenrührig scheint, in einer Genossenschaft zu wohnen, wenn die gesamte Stadtverwaltung von einem Journalisten der gleichen Zeitung unter kollektiven Links-Verdacht gestellt wird und wenn der Chefredaktor ebendieser einst staatstragenden Zeitung den Sinn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens grundsätzlich in Frage stellt, dann scheint das Koordinatensystem aus den Fugen geraten. Das gilt auch, wenn ein freisinniger Nationalrat und Direktor eines traditionellen Verbands jegliche Hemmung vor der Lüge aufgegeben hat und man gleichzeitig liest, wie die ganze Schweiz, die ganze Welt, die ganze Gesellschaft – wie es auch CSU-Politiker Alexander Dobrindt für Deutschland formulierte – durchtränkt sei von «Ideologie, sozialdemokratischem Etatismus und grünem Verbotismus»

 

Zum einen, weil es schlicht nicht stimmt. Die Wohnbaugenossenschaften haben sich längst vor allem personell von der SP abgewendet, in vielen Vorständen von Genossenschaften gibt es längst keine Parteimitglieder – geschweige denn SP-PolitikerInnen – mehr. Auch in der Verwaltung sind parteiungebunden und politisch wahrscheinlich nahe dort anzusiedeln, wo ja auch die meisten JournalistInnen stehen: Eben irgendwo zwischen SP und FDP, vielleicht ein wenig grünliberal. Die SP hätte viel mehr Mitglieder, wenn die Mitgliedschaft einem tatsächlich zu einer Genossenschaftswohnung oder einem gut bezahlten Job in der Stadtverwaltung verhelfen würde. Und wenn man die Stadtgrenze verlässt, dann sind die politischen Machtverhältnisse und realen Lebensverhältnisse ziemlich weit von irgendwelchen sozialdemokratischen oder grünen Phantasien entfernt.

 

Das könnte man eigentlich getrost unter der Rubrik Wahlkampfgeplänkel versorgen. Das Problem scheint eher, dass gewisse – früher doch einigermassen allgemein gültige – Prinzipien einfach mal generell aufgegeben werden. Der gemeinnützige Wohnungsbau ist dazu nur ein Beispiel. Früher – so lange ist es nicht her – stand der Freisinn prinzipiell hinter dem gemeinnützigen Wohnungsbau und auch zu der Wohnpolitik der Stadt Zürich. Nicht in jedem Einzelprojekt. Aber im Grundsatz. Denn Genossenschaften – private Initiativen zur Selbsthilfe – lassen sich durchaus mit liberalem Gedankengut vereinbaren. Heute ist es offenbar grundsätzlich suspekt, wenn man Land nicht dem Meistbietenden verscherbelt oder die Maximalrendite aus einer Liegenschaft rausholt – obwohl dies auch unserem Mietrecht und unserer Verfassung widerspricht. Die Vorstellung einer Sozialpflichtigkeit von Eigentum – wie sie auch im deutschen Grundgesetz verankert ist – ist offenbar völlig abwegig geworden. Grundlegende Überlegungen zur Solidarität – zum Beispiel mit sprachlichen Minderheiten oder mit Menschen, die im Leben auch mal Pech hatten, sind ebenfalls schon sozialistische Phantasien von weltfremden Gutmenschen. Denn es geht nur noch darum, ob ich, ich und ich davon profitiere oder es selbst konsumiere. Darum weg mit der SRG und sicher keine Rentenerhöhung, weil es könnte ja sein, dass jemand davon profitieren könnte, der es nicht so richtig verdient. Und das ist sozial, weil alles andere ist ja Giesskanne.

 

Dazu passend der 55 000-Zeichen-Essay von Constantin Seibt in der ‹Republik›, in der er sich – durchaus gewohnt gut geschrieben und unterhaltsam – über Irrationalität in der Politik auslässt und dazu verschiedene Studien aus der Hirnforschung zuzieht. Die Kernthese ist (ein wenig polemisch zusammen gefasst), dass nicht die Programme, Inhalte oder Ideologien über die politische Ausrichtung entscheidet, sondern die jeweilige Verdrahtung der Hirnwindungen. Dass sich die Linke ein vielleicht zu optimistisches Bild über die Rationalität eines Subjektes macht, mag zutreffen. Dennoch scheint es mir ein wenig deprimierend, wie hier 300 Jahre Aufklärung zur zufälligen Zuckung einer Hirnwindung werden.

 

Wenn aber nur noch Mitte-Links Staat, Institutionen und Rationalität vertreten und verteidigen, dann sieht die Zukunft düster aus. Weil Staat und Gesellschaft nur funktionieren, wenn ein Minimalkonsens darüber herrscht, dass gewisse Dinge nur gemeinschaftlich gehen, und wenn ein Minimum an Vertrauen den Institutionen entgegengebracht wird. Man muss sich gleichzeitig auch vergegenwärtigen: Die Amerikaner wählten Trump zu ihrem Präsidenten. Vier Jahre zuvor bestätigten sie den kühlen Intellektuellen Obama im Amt. Wer 2020 gewählt wird, ist völlig offen. Die Menschheit war immer zu Rationalem und Irrationalem fähig, zu höheren Idealen und niederen Instinkten. Vielleicht wird also dennoch alles gut. Es wäre zu hoffen.

 

Min Li Marti

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