Alles ist politisch: Was die Linke von den Feministinnen lernen kann

 

Was ist politisch? Bei einer Strassenumfrage wäre die Antwort der meisten: Räte, Parlamente, Verordnungen und Protokolle. Wie sehen PolitikerInnen aus? Männer in Anzug und vielleicht Krawatte, dazu ein paar Frauen in Bluse, Blazer, Tüchlein. Kann man die Linken von den Rechten unterscheiden? Die Antwort wäre wohl: nicht zwingend.

 

Natascha Wey

 

Frage ich meine feministischen Freundinnen, was für sie Politik ist, antworten sie: Alles.  Unsere  Beziehungen.  Unser Alltag. Das Private. Kurzum: das Leben. In den Augen einer Feministin gibt es keine Nicht-Politik. Für viele PolitikerInnen ist ihre Vorstellung von Politik nicht anders als die vom Mann auf der Strasse: Richtige Politik findet im Ratssaal statt, dreht sich um Wahlen und Mehrheiten, ermöglicht Karrieren und ist deshalb sehr, sehr ernst.

 

Würde man Menschen auf der Strasse fragen, was für sie relevanter ist, ihr Privatleben oder der Politbetrieb, wäre die Antwort: das Privatleben. Menschen scheitern an Beziehungen, an den eigenen Ansprüchen, am Erwartungsdruck der Gesellschaft und vielleicht ab und zu an der Steuererklärung. Das neoliberale Credo dabei: Jeder sei seines Glückes Schmied. Viele dieser Menschen würden zudem sagen: Die Politik interessiert mich nicht, was «die da in Bern» machen, betrifft mich nicht. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die linke, institutionelle Politik von den Feministinnen lernt. Will man die Menschen von Politik überzeugen, muss man da ansetzen, wo es sie am persönlichsten betrifft. In ihren Beziehungen und in ihrem Alltag. Linke Gesellschaftspolitik muss zeigen, wie beides zusammenhängt. Und wenn es historisch ein Engagement gibt, das einen L eistungsausweis darin hat, das Private mit dem Politischen zu verbinden, so ist das feministisches Denken und Handeln.

 

 

Selbstkritik und Machtfrage

Feministinnen  haben immer schon Lebensbereiche politisiert, die schwierig politisierbar sind. Wenn alle immer über Erwerbsarbeit sprechen, zeigen Feministinnen mit dem Finger auf die unbezahlte Arbeit und jene, die sie leisten. Feministischer Aktivismus bedeutet, marginalisierte Stimmen sicht- und hörbar zu machen und Machtverhältnisse zu entlarven.   Bei der parlamentarischen Linken sehe ich beides selten. Weder erhalten die Ränder eine Stimme, noch haben sie eine gute Lobby. Oft wird in Mehrheiten gedacht und dabei vergessen, dass man selber privilegiert ist und für unprivilegierte Minderheiten Politik machen sollte. Es fehlt an Selbstkritik und einer Diskussion über Macht. Tunlichst vermieden wird der Blick in die eigene Runde, der vielleicht bestätigt, dass wir selbst nicht mehr wissen, wer eigentlich die Schwächsten sind. Care -Migrantinnen, Sans-Papiers, Asylsuchende und viele mehr. Wo sind die Diskussionen über Macht in den linken Parteien? Wieso wird so getan, als  ob  Macht-  und  Männernetzwerke  einzig ein Phänomen der Bürgerlichen seien? Wenn für eine linke Partei Karrieren wichtiger werden als politische Inhalte, dann schafft sie sich selbst ab. Hier müsste die parlamentarische Politik von den feministischen Debatten lernen, welche Auseinandersetzungen über Macht und Privilegien längst führen und sich durch diese Konflikte weiterentwickeln. In der Vergangenheit dominierte insbesondere im weissen Mit-telschichtsfeminismus eine Vorstellung von Emanzipation als Teilhabe der Frauen am Erwerbsleben, und es wurde ignoriert, dass viele weniger privilegierte Frauen aus existenziellen Gründen bereits einer ausserhäuslichen Arbeit nachgehen mussten. Die K ritik dieser Frauen veränderte feministische Forderungen,  machte sie radikaler und systemkritischer. Ich gehöre nicht zu den Politikverdrossenen, die glauben, parlamentarische Politik hätte keine Berechtigung, sonst wäre ich nicht Mitglied der SP. Ich halte nicht viel von jenem ausserparla-mentarischem Aktivismus, der politische Radikalität mit Coolness verwechselt, es ständig besser weiss und im Jahr 2015, Zeitalter des Neoliberalismus, tatsächlich noch glaubt, vom System unberührt die sozialistische Revolution vorbereiten zu können,  um dann im richtigen Moment zuzuschlagen.

 

Ich glaube aber,  das  ausschliessliche Streben nach Mehrheiten und institutioneller Macht verstellt den Blick und ignoriert Realitäten. Diskursverschiebungen werden nicht erkannt und es wird ihnen schlecht bis gar nicht begegnet. Ein Beispiel: Während vor einigen Jahren  die  Legalisierung  von  Sans-Papiers noch ein salonfähiges, linkes Anliegen war, getrauen sich heute ParlamentarierInnen kaum mehr,  diese  Forderung  laut  auszusprechen. Der Diskurs – auch innerhalb der Linken – ist nach rechts gerutscht, von «Legalisierung» hin zu «Ängste ernstnehmen». Aber: Nur weil eine Forderung nicht salonfähig ist, macht sie das noch nicht überflüssig. Feministinnen waren weit weniger feige: Frauenstimmrecht, Schwangerschaftsabbruch, Mutterschaftsversicherung,  Strafbarkeit  von  Vergewaltigung in der Ehe. Salonfähig war lange nichts davon, jahrelanger Einsatz brachte Veränderung.

 

Ich wünsche mir eine Linke, die den Blick aus dem Parlament hinaus in die Welt richtet. In den feministischen Debatten hat die Machtfrage zu einer Verschiebung geführt: Es geht nicht nur um den Diskurs, sondern um die Frage, wer spricht. Menschen ohne Rechte und Privilegien müssen mitreden können, Teil der L ösung  und eine politische  Realität  werden. Die Sorge sollte deshalb nicht nur den nächsten Wahlen gelten, sondern Allen, die Solidarität und Engagement am nötigsten haben. Wie das funktioniert, lernen wir von den Feministinnen.

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