Allerlei Verschleierungen

 

Egerkingen ist ein Ort mit zweifelhafter Berühmtheit. An der Autobahn gelegen, im Schweizer Mittelland. Ein Durchschnittsort. In meiner Kindheit war Egerkingen berühmt für das Motel und die gleichnamige Serie, die darin spielte. Die Serie war kontrovers, weil sie Drogenkonsum und Homosexualität thematisierte, was dem ‹Blick› in der Ära Uebersax missfiel. Und sie zeigte einen grauen und tristen Alltag, die aber die Realität – ich bin ja in Olten aufgewachsen – nicht schlecht widerspiegelte.

Auch danach hat es Egerkingen immer wieder in die Schlagzeilen geschafft. Zum Beispiel durch den Steuerpranger, an den Gemeindepräsidentin Johanna Bartholdi (FDP) säumige SteuerzahlerInnen gestellt hat. Und mit dem Egerkinger Komitee, das die erfolgreiche und kontroverse Abstimmungskampagne für ein Minarett-Verbot führte. Jetzt ist dieses Komitee wieder aktiv und sammelt für ein Burka-Verbot.

 

Die Annahme der Minarett-Initiative hat mich überrascht. In Zürich steht seit 1962 eine Moschee mit Minarett. Grosse Emotionen hat dieses Türmchen nie ausgelöst. Die Initiative wurde angenommen. Der Grund waren kaum die insgesamt vier Minarette in der Schweiz. Es war vermutlich eher etwas anderes, das Unbehagen auslöste. Das Bild der Frau auf dem Plakat des Egerkinger Komitees, das Bild einer Frau in einer schwarzen Burka.

Dieses Mal wäre ich also nicht überrascht, wenn die Initiative erfolgreich wird. Und im Gegensatz zur Minarett-Initiative habe ich sogar ein gewisses Verständnis. Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Ich werde bei der Initiative Nein stimmen. Erstens scheint es mir kein reales Problem: Frauen mit Vollverschleierung sind hierzulande – mit Ausnahme von Nora Illi – Touristinnen. Und nur für Nora Illi die Verfassung zu ändern, wäre doch zu viel der Ehre für sie. Zudem finde ich staatliche Kleidervorschriften als liberaler Mensch generell schwierig.

 

Ich verzichte darauf, die Unterschiede der verschiedenen Verschleierungsformen hier darzulegen. Was in der Initiative unter Burka-Verbot fällt, sind alle Formen der Verschleierung, die Körper und Gesicht beinahe vollständig bedecken. Und von mir aus gesehen ist diese Kleidungsform körper- und auch frauenfeindlich. Weiblichkeit oder weibliche Identität ist offenbar so bedrohlich, dass man sie in der Öffentlichkeit nicht erkennen darf. Oder wie es der Philosoph Slavoj Zizek in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› formuliert: «Das Bedürfnis, Frauen verschleiert zu halten, spricht für eine extrem sexualisierte Welt, in der das blosse Zusammentreffen mit einer Frau eine Provokation bedeutet, der ein Mann unmöglich widerstehen kann.»

Das weibliche Begehren und der weibliche Körper sind offenbar gefährlich. Für Frauen und Männer. Das ist allerdings nicht eine islamische Erfindung. Auch im Christentum steht die Verführung des Mannes durch die Frau am Ursprung. Und alle Weltreligionen sind zu einer Zeit entstanden, als Frauen weniger wert waren als Männer. Dass eine fundamentalistische Auslegung einer Religion daher der Gleichberechtigung nicht dient, liegt auf der Hand.

 

Ich zweifle nicht daran, dass es Frauen – auch neben Nora Illi – gibt, die sich aus freien Stücken vollständig verschleiern. Viele Frauen und Feministinnen aus dem arabischen Raum sagen, dass sie die Verschleierung aus unterschiedlichen Motiven aus freien Stücken tragen. Nun kann ich das vielleicht blöd finden oder nicht nachvollziehen. Aber Freiheit bedeutet auch, Dinge tun zu dürfen, die andere nicht verstehen können. Es gibt auch das Freiheitsrecht auf Selbstschädigung.

Das Problem mit den Touristinnen in Interlaken und an der Bahnhofstrasse: Möglicherweise tragen sie ihre Verschleierung freiwillig und möglicherweise nicht. Wir wissen es nicht. Klar ist aber, dass sie aus Ländern stammen (wie beispielsweise Saudi-Arabien), in denen es keine weibliche Selbstbestimmung gibt und in denen Frauen keine Rechte haben. Wieviel Selbstbestimmung und Freiheit gibt es in der Unfreiheit?

 

Nun hat allerdings eine Änderung der Bundesverfassung kaum einen Einfluss auf die Lage der Frauen in Saudi-Arabien. Und es hat durchaus etwas Kolonialistisches, wenn wir Leute aus einem anderen Land befreien wollen, statt ihnen zuzutrauen, dies selber zu tun. Das zweite Problem an der ganzen Geschichte: Die Initianten des Verbots, das Egerkinger Komitee und die SVP, haben, mit Ausnahme von Julia Onken vielleicht, keine feministische Überzeugung. Eher das Gegenteil ist der Fall. So hat sich Blocher im Kampf gegen das neue Eherecht seine ersten politischen Sporen abverdient. Die SVP lehnte es ab, Vergewaltigung in der Ehe strafbar zu machen, weil es den Staat nichts anginge, was im Bett von Eheleuten passiere. Eben diese Kämpfer für Frauenrechte haben auch keine Probleme damit, die Frauenunterdrücker zu unterstützen, wenn es darum geht, ihnen Waffen zu verkaufen.

Die Burka ist durchaus ein feministisches Dilemma. Das sich aber nicht auf dem Initiativweg lösen lässt. Die einzige Lösung: Der Einsatz für echte Gleichstellung in der Schweiz. Und der Einsatz dafür, dass diejenigen Frauen, die sich gegen Unterdrückung wehren, auch Unterstützung erfahren. Nicht dass die Frauen, die sich beispielsweise gegen Zwangsheiraten oder häusliche Gewalt wehren, noch zum Schluss mit der Abschiebung bestraft werden.

 

Um Verschleierungen einer anderen Art geht es bei der Transparenz von Wahlkampfspenden. Kaum ein demokratisches Land hat so wenig Transparenz, wenn es um die Finanzierung von Wahl- und Abstimmungsspenden geht, wie die Schweiz. Sie wurde daher – zu Recht – auch immer wieder von der OECD kritisiert. Ironischerweise kommt das Argument, dass man mit Geld keine Abstimmung oder Wahl kaufen könne und darum Transparenz oder Parteienfinanzierung unnötig sei, stets von jenen, die am meisten Geld für politische Kampagnen aufwenden. Man fragt sich dann jeweils, warum sie das Geld nicht besser investieren.

Ein Vorstoss für mehr Transparenz und mehr Regeln, wie ihn die SP jetzt als Initiative prüft, ist daher überfällig. Man darf sich allerdings keine Illusionen darüber machen, dass mehr Transparenz allein das Problem ungleicher Spiesse lösen könnte oder dazu führen würde, dass weniger Geld im Wahlkampf ausgegeben wird. Die Publikation von CEO-Löhnen hat nicht zu Lohnsenkungen, sondern zu noch höheren Löhnen geführt. Schliesslich wusste dann jeder CEO, wo der Marktwert liegt und was er oder sie bei der nächsten Runde verlangen kann. Dasselbe gibt es auch bei Wahlkämpfen. In den USA ist die Höhe der Spenden limitiert, genauso wie vorgeschrieben ist, dass die Namen der Spender öffentlich ausweisbar sein müssen. Das hat die Amerikaner nicht daran gehindert, immer teurere Wahlkämpfe zu machen, genauso wenig, wie es reiche Milliardäre davon abgehalten hat, sich politischen Einfluss kaufen zu wollen.

Bei allerlei Verschleierungen, freiwilligen und unfreiwilligen, scheint es doch ein paar Schattierungen von Grau zu haben. Fast so wie das Wetter in Egerkingen.

 

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