«Ich möchte die Sozialhilfe bei den Gemeinden belassen»

Regierungsrat Mario Fehr ist seit 2011 Vorsteher der Sicherheitsdirektion. Über die Herausforderungen bei der Umsetzung des neuen Asylgesetzes und den stetigen Kampf gegen die Sozialabbauer im Kanton Zürich gab er im Gespräch mit Zara Zatti Auskunft.

 

Zara Zatti

 

Ihre zweite Legislaturperiode als Sicherheitsdirektor neigt sich dem Ende zu. Wenn Sie zurückschauen, auf was sind Sie stolz?

Mario Fehr: Ich bin stolz auf die modernste, bestausgerüstete Kantonspolizei der Schweiz, die auch in der Prävention sehr stark ist, beispielsweise im Bereich Gewalt gegen Frauen oder der Bekämpfung des Terrorismus. Ich bin stolz auf meine Sozialpolitik, die anders als in Kantonen wie Bern oder Basel-Land, keine wesentlichen Abstriche am Sozialstaat hinnehmen musste und auch in Zukunft nicht hinnehmen wird. Und ich bin stolz darauf, dass wir im Sportbereich viele inte­grative Projekte realisieren konnten, zum Beispiel beim Frauenfussball.

 

Und was war die grösste Herausforderung?
Sehr anspruchsvoll war sicher die Umsetzung des neuen Asylgesetzes im Kanton Zürich. Ein gleichzeitig konsequenter und menschlich anständiger Vollzug in der Asylpolitik ist etwas Schwieriges. Ich finde, dass wir mit Augenmass handeln. Das Asylwesen ist ein Bereich, bei dem die politischen Meinungen am weitesten auseinandergehen. Während in der Sozialpolitik, so wie ich sie vertrete, vor allem Kritik von rechts kommt, hat man in der Asylpolitik immer eine Kritik von beiden politischen Polen.

 

Bei der Revision des Sozialhilfegesetzes gab es schon auch Kritik von linken Organisationen.
Schon, aber die war nicht so ausgeprägt. Einzelne Kritikpunkte teile ich, andere nicht. Es ist aber keine fundamentale Kritik an der Sozialpolitik als solcher, wie das bei der Asylpolitik der Fall ist. Die linken Organisationen fordern höhere Sozialhilfebeiträge. Ich habe Verständnis für diese Forderung, muss aber als Regierungsmitglied auch realpolitisch einen Weg finden, um das neue Sozialhilfegesetz mehrheitsfähig zu machen.

 

Nach dem Kantonsrat können SozialhilfebezügerInnen Auflagen nicht mehr selber anfechten. Diese Änderung ist auch im neuen Gesetzesentwurf enthalten. Was ist die Idee dahinter?
Wir respektieren damit einen demokratischen Entscheid des Kantonsrates. Das gleiche gilt für die Möglichkeit, die Mieten von SozialhilfeempfängerInnen direkt an die VermieterInnen zu überweisen. Wir haben diese Änderung bekämpft, aber nachdem die Motion im Kantonsrat eine Mehrheit gefunden hat, wurde dies auch so in die Revision übernommen.

 

In Bezug auf die Höhe der Beiträge halten Sie auch an der Revision der Skos-Richtlinien fest.
Auf jeden Fall! Die Skos-Richtlinien sind Mindestansätze und sollten gesamtschweizerisch gelten. Als Sozialdirektor habe ich die Revision der Skos-Richtlinien nachhaltig mitgeprägt und ich konnte die Überweisung einer Motion im Kantonsrat verhindern, welche die Verpflichtung auf Mindestansätze abgeschafft hätte. Wir befinden uns bereits jetzt am unteren Rand dessen, was nicht nur für die Existenzsicherung, sondern auch die Wiedereingliederung von Sozialhilfebeziehenden nötig ist.
Bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen kämpfen wir gegen den Abbau. Allerdings erachte ich es als richtig, dass man in der Revision die Sanktionsmöglichkeiten erhöht hat. Und ich finde es auch vertretbar, dass man bei den jungen Erwachsenen Abstriche gemacht hat. Den Vorstoss der SVP, die Beiträge generell um 30 Prozent zu kürzen, lehnt die Regierung aber klipp und klar ab. Und ich sowieso! Ich bin überzeugt, dass ich im Kantonsrat eine Mehrheit erhalten werde, um diesen Vorstoss erfolgreich zu bekämpfen. Die Sozialabbauer im Kanton Zürich werden sich an mir noch die Zähne ausbeissen.

 

Die Vernehmlassung wurde Ende Jahr abgeschlossen – was wird für Diskussionen sorgen?
Wir haben etwa 180 Vernehmlassungen erhalten, das zeigt, dass wir mitten in einer engagierten Debatte um die Sozialhilfe stehen. Eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden ist erfreulicherweise grundsätzlich für die Skos-Richtlinien, die Debatte ob man diese ins Gesetz oder nur in die Verordnung schreiben soll, ist für mich mehr technischer Natur. Bezüglich der Verteilung der Kosten haben wir einen durchgängigen Kantonsanteil von 25 Prozent vorgeschlagen, der die heute bestehenden differenzierten Beträge ablösen soll. Diesen Schlüssel werden wir sicher nochmals diskutieren.
Ich glaube, dass die Zürcher Regierung auch bereit ist, den Anteil leicht zu erhöhen, wenn die Gemeinden ihrerseits zu einem Lastenausgleich untereinander bereit sind. Der Kanton kann aber nicht 50 oder mehr Prozent übernehmen. Wenn man den Gemeinden die Spielräume nicht nehmen will, dann darf der Kantonsanteil nicht zu hoch sein, da der Kanton sonst Direktiven erlassen wird. Ich möchte die Sozialhilfe bei den Gemeinden belassen.

 

Der Kanton Zürich vertritt gegenüber Gewalt an Frauen eine Null-Toleranz-Politik, dies liessen Sie zusammen mit Jacqueline Fehr kürzlich an einer Medienkonferenz verlauten. Sans-Papier-Frauen, die von Gewalt betroffen sind, haben aus Angst vor Behördenkontakt häufig Schwierigkeiten, sich rechtliche Hilfe zu suchen. Gibt es diesbezüglich ebenfalls Bestrebungen, die Situation der betroffenen Frauen zu verbessern?
Das Migrationsamt und auch die Polizei arbeiten so, dass niemand daran gehindert wird, seine Rechte wahrzunehmen, wenn er von Gewalt betroffen ist. Frauen beispielsweise, die von Menschenhandel bedroht sind oder zur Prostitution gezwungen werden, bekommen einen Aufenthaltstitel, wenn sie mit der Polizei kooperieren.

 

Wie gut arbeitet der Kanton mit Beratungsstellen zusammen?
Wir arbeiten gut mit Opferberatungsstellen zusammen. Zum Beispiel mit der Beratungsstelle für Frauen oder der Fachstelle Makasi für Ausländerinnen. An einem runden Tisch tauschen wir uns regelmässig aus. Das Vertrauen zwischen Polizei und Migrationsamt und den Beratungsstellen ist viel grösser als früher. Wir arbeiten eng und gut zusammen.
Was halten Sie von einer Zürich-City-Card?
Wir wissen bis heute nicht genau, was eine solche City-Card genau beinhaltet und warten diesbezüglich auf die Vorschläge des Zürcher Stadtrats. Abgewiesenen Asylsuchenden beispielsweise hilft eine Zürich-City-Card nicht. Vielmehr passiert dann genau das, was auch der Stadtrat angemerkt hat, nämlich, dass eine falsche Sicherheit vermittelt wird. Alle Sans-Papiers haben heute richtigerweise Zugang zu medizinischen Leistungen und Jugendliche und Kinder auch zu Bildung. Jemandem ohne legalen Aufenthaltstitel können wir aber über einen kommunalen Ausweis keinen Aufenthaltsstatus verleihen. Hier gilt Bundesrecht.

 

Die Bewegungsfreiheit von abgewiesenen Asylbewerbern in Notunterkünften wurde in den letzten Jahren eingeschränkt. Was sollte damit erreicht werden?
Ein faires Asylsystem stellt sicher, dass diejenigen, die Asyl erhalten, Unterstützung für ihre Integration bekommen, und dass diejenigen die nicht hierbleiben dürfen, unser Land auch wirklich verlassen. Beides ist für die Glaubwürdigkeit des Asylverfahrens und den Stellenwert des Flüchtlingsstatus sehr wichtig. Die Meldepflicht stellt sicher, dass nur Nothilfe bezieht, wer auch wirklich in einer kantonalen Unterkunft wohnt. Die Eingrenzungen dienen dem Vollzug in denjenigen Fällen, wo jemand straffällig wird oder sich sehr unkooperativ verhält. Die Gerichte beurteilten übrigens beide Massnahmen vollumfänglich als rechtmässig.

 

Was heisst straffällig und was heisst sehr unkooperativ?
Mit straffällig meine ich Delikte wie Diebstahl, Raub oder Körperverletzung. Sehr unkooperative Personen halten sich demons­trativ nicht an die Regeln in den Unterkünften, beispielsweise auch im Umgang mit Frauen.

 

Hat sich die Zahl der abgewiesenen Asylsuchenden, die in ihr Heimatland zurückkehren konnten, seit diesen Massnahmen verändert?
Ja. Als ich 2011 als Sicherheitsdirektor angefangen habe, hatten wir 1500 NothilfeempfängerInnen. Der Status des Nothilfeempfangenden ist der schlechteste überhaupt . Mit Rückkehrangeboten und Starthilfen im Heimatland können wir ihnen immerhin eine Perspektive bieten. Damit haben wir zunehmenden Erfolg.
Seit zwei Jahren prüft mein Migrationsamt zudem bei allen Abgewiesenen, die länger als fünf Jahre hier sind, nicht straffällig waren und ein Mindestmass an Integrationswillen gezeigt haben, ob sie der Bund als Härtefälle anerkennen könne. Wir verschaffen rund 100 Personen auf diesem Weg eine Aufenthaltsbewilligung. Wo dies aber nicht möglich ist, ist der Neustart im Heimatland die bessere Lösung.

 

Hat der Kanton Zürich seine Kapazität zur Aufnahme von Flüchtlingen erreicht?
Ich bin völlig dagegen, Obergrenzen zu definieren. Es gibt ein Recht auf Asyl, Punkt. Wir haben 2015 während der grossen Flüchtlingskrise gezeigt, dass wir innerhalb von kurzer Zeit, zusammen mit den Gemeinden, mehr Unterkünfte bereitstellen können. Wir haben diese Aufgabe gemeinsam gemeistert und werden das auch in Zukunft tun. Wir haben keine Gemeinde, die nicht mitmacht und das hat sicher auch etwas mit der Glaubwürdigkeit meiner Asylpolitik zu tun.

 

Die SP hat Sie wegen Ihrer Asylpolitik kritisiert. Konnten Sie dies nachvollziehen?
Ja, selbstverständlich. Die SP ist eine linke Volkspartei, in der sich viele finden, die ein Bleiberecht für alle befürworten. Das ist als politische Haltung völlig in Ordnung. Als Sicherheitsvorsteher teile ich sie nicht. Und ich muss mich selbstverständlich an das geltende Recht halten.

 

Denken Sie, ein Direktionswechsel würde das Verhältnis zu Ihrer Partei in Zukunft entspannen?
Ich glaube, dass ein sozialdemokratischer Regierungsrat oder eine sozialdemokratische Regierungsrätin immer in einem Spannungsverhältnis zur Partei stehen wird, ja sogar stehen muss.
Das sieht man momentan auch bei der Reform der Untersuchungshaft-Bedingungen, die ich richtig und wichtig finde. Regierungsrätin Jacqueline Fehr wurde dafür umgehend von links kritisiert. Ich kann mir keine Direktion vorstellen, bei der es keine Kritik der SP geben würde. Ich finde es auch völlig legitim, mich zu kritisieren; eine Strafanzeige ist hingegen kein legitimes Mittel. Die Zusammenarbeit mit Fraktion und Partei ist heute gut. Ich glaube, die SP hat erkannt, dass sie mit mir, insbesondere in der Sozialpolitik, einen verlässlichen Garanten gegen den Sozialabbau hat.

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