Zwei Klassen

Vor rund eineinhalb Jahren verlor ich ein Kind im sechsten Monat. Vor wenigen Tagen kam meine Tochter gesund zur Welt. Die Wochen dieser letzten Schwangerschaft gehören zu den schlimmsten meines Lebens. Wie ich dadurch die zwei Klassen unseres Gesundheitssystems kennenlernte, davon handelt diese Kolumne.

 

Ich kann nämlich jetzt die Leistungen einer privaten Klinik wie dem Hirslanden mit den Leistungen des Unispitals vergleichen. Und es passt mir nicht, dass Herkunft und finanzielle Ressourcen darüber entscheiden, in welchem Zustand man das Spital nach einer Geburt verlässt.

 

Das kam so: In die Hirslanden-Klinik konnte ich bei dieser Geburt nicht mehr, nachdem ich dort zwar zwei gesunde Söhne geboren hatte, aber eben auch das tote Kind. Also entschied ich mich für das Unispital in Zürich, das ich bereits sehr gut kennengelernt hatte. Denn diese Schwangerschaft war anders. Geprägt von Ängsten unbekannten Ausmasses. Ich hatte damit gerechnet, allerdings nicht mit dieser Heftigkeit. Und ich hatte es, nun, bald einmal nicht mehr im Griff und brauchte Hilfe. Die bekam ich im Unispital, wohin man mich schickte, egal an wen ich mich mit meiner Panik wandte. Nicht ins Hirslanden, wo meine Ärztin ist, in dem die Geburt eigentlich geplant war, und das im Grunde genommen ebenfalls Notfälle behandeln muss. Denn ein Notfall war ich, wenn auch nicht im medizinischen Sinn. Im Unispital kümmerte man sich um mich, ungeachtet der Offensichtlichkeit, dass es nur die Angst war, die mich quälte. Man hätte mich gut jedes einzelne Mal auch ganz ohne Kontrolle wieder nach Hause schicken können. Das tat man aber nie. Man hatte ein nicht versiegendes Verständnis für mich, obwohl ich eine ganz klassische Kostentreiberin war, eine, für die gewisse Politikerinnen und Politiker diese Gebühren für jeden Besuch auf dem Notfall einführen wollen (was mich übrigens nicht davon abgehalten hätte, trotzdem hinzugehen, aber darüber schreibe ich vielleicht ein andermal).

 

Schliesslich kam das Wochenbett. Und damit der Einblick in diese grosse Ungleichheit betreffend der Betreuung, Pflege und der medizinischen Leistungen zweier Spitäler, die unter völlig anderen Bedingungen wirtschaften müssen. In diesem Beispiel ganz zu Lasten der Frauen.

 

Nach meinen Geburten im Hirslanden verliess ich das Spital nach sechs Tagen mit einem Gefühl der Sicherheit. Gestärkt, erholt, bereit. Im Unispital musste ich nach vier Tagen nach Hause, erschöpft und mit vielen unbeantworteten Fragen. Das Spital, das sich nicht mit Kostentreiberinnen wie mir herumschlagen muss, investiert in eine grosse Zahl an Hebammen, Pflegenden und Ärztinnen und Ärzten. Im Spital, das sich auch um die nicht lukrativen Fälle kümmert, muss anderswo gespart werden. Bei der Kinderärztin, die bei der Geburt gar nicht mehr dabei ist. Bei der Reduktion auf nur noch eine Untersuchung des Neugeborenen innerhalb der ersten 24 Stunden und damit der Streichung des Austrittsuntersuchs, was gemäss verschiedener Pädiater zu früh und auch zu wenig ist. Bei der Möglichkeit, das Kind für einige Stunden abgeben zu können, was viel zur Erholung nach der Geburt beitragen würde. Aber wie soll das gehen, wenn zu wenig Personal zu viele Frauen betreuen muss.

 

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich weiss, dass die Betreuung da wie dort im Vergleich mit vermutlich dem Rest der Welt auf höchstem Niveau ist. Ich beklage mich nicht, nein, eher klage ich an: dass Spitäler, die alle Menschen zu jeder Zeit behandeln, nicht mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, damit sie nicht anderswo empfindliche Einsparungen machen müssen. Dass nur gut Betuchte genau die Unterstützung erhalten, die ich mir so sehr für jede Frau wünschte, ganz egal, woher sie kommt und wie dick ihr Portemonnaie ist.

 

Andrea Sprecher

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