1, 2 Genderpolizei

Es gibt kaum eine Debatte, die mir mehr auf die Nerven geht, als jene über Political Correctness, kurz PC genannt. Zum einen, weil diese Debatte vor zwanzig, dreissig Jahren schon exakt gleich geführt wurde und seither weder bei BefürworterInnen noch GegnerInnen irgendein neues Argument dazu gekommen ist. Zum zweiten, weil diese Debatten, Diskussionen und Aufreger, die seitenlange Essays und erbitterte Twitter-Streite auslösen, oft relativ wenig mit der Lebensrealität und den Problemen hierzulande zu tun haben.

 

SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner hat entdeckt, dass der Gemeinderat Richtlinien zur Abfassung von persönlichen Vorstössen hat, in denen unter anderem auch festgehalten wird, dass sie in geschlechtergerechter Sprache abgefasst werden müssen. Ein Vorstoss von Brunner wurde aus diesen Gründen zur Überarbeitung durch das Ratsbüro zurückgewiesen, was Brunner eine Zumutung findet, worauf sie bei der NZZ auf offene Ohren für ihren Protest gestossen ist. Nun kann man geschlechtergerechte Sprache sprachlich und politisch doof finden und sich dagegen wehren, das ist natürlich völlig legitim. Auch als NZZ, die etwa ganz empört darüber berichtete, dass die Stadt Hannover eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache einführen will, die in Broschüren und Formularen und der Korrespondenz der Stadt zum Einsatz kommen soll. Das führe dann beispielsweise zu so Ungeheuerlichkeiten, dass neu in Formularen Antragssteller durch antragsstellende Person ersetzt werden können. Sprachwissenschaftler und Politiker (weniger innen) empören sich, die NZZ auch.

 

Wenn sich Susanne Brunner also durch das generische Maskulinum besser vertreten fühlt und sich damit politisch profilieren möchte, dann ist das , wie gesagt, ihr gutes Recht. Dass dann ihre FraktionskollegInnen und Zugewandte sie darin bekräftigen und von «Genderpolizei» reden, natürlich auch. Von der NZZ erwarte ich hingegen ein bisschen mehr als reine Politik. Dazu würde gehören, dass man festhalten könnte, dass diese Richtlinien und die Kompetenz des Büros, Vorstösse zur Überarbeitung zurückzuweisen, nichts Neues sind. Die Stadt Zürich verpflichtet sich seit einem Stadtratserlass von 1996 zu den Grundsätzen der sprachlichen Gleichstellung. Was also Hannover 2018 unter Getöse der NZZ eingeführt hat, gilt also in der Stadt Zürich seit mehr als zwanzig Jahren: «In behördlichen Texten (Briefen, Informationsbroschüren, Merkblättern, Berichten, Geschäftsordnungen, Reglementen, Weisungen, Verordnungen, Formularen, Arbeitszeugnissen, Ausweispapieren usw.) sind Frauen und Männer sprachlich gleichberechtigt zu behandeln.» Dieser Stadtratserlass wurde auch in der überparteilich zusammengesetzten Redaktionskommission des Gemeinderats, deren Mitglied ich jahrelang war, problem- und diskussionslos seit Jahren angewandt. Diese Richtlinien des Stadtrats wurden so dann 2012 – ohne Widerstände – formal auch in den Richtlinien zur Abfassung von persönlichen Vorstössen verankert. Auch im Bund ist dies seit 1996 Praxis: Damals wurde der «Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung» eingeführt. Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch veröffentlichte ihre Aufsätze zur feministischen Linguistik «Deutsch als Männersprache» im Jahr 1984.

Wir haben also seit über dreissig Jahren eine Diskussion über geschlechtergerechte Sprache. Seit über zwanzig Jahren eine Praxis in diesem Land, in dieser Stadt, dass die Behörden eine geschlechtergerechte Sprache anwenden (müssen). Wir haben also seither Erlasse, Broschüren und Formulare, die so ausgestaltet sind. Seit über dreissig Jahren gibt es Debatten über geschlechtergerechte Sprache. Die NZZ und viele empörte Twitterer (weniger innen) von links und rechts haben das offenbar nicht gemerkt, was wohl nicht dafür spricht, dass diese Praxis dermassen schlimm und invasiv sein kann. Sprache ist nun mal – selbst für die NZZ – eine dynamische Angelegenheit, Sitten und Gewohnheiten verändern sich und wiederspiegeln sich entsprechend in ihr. Nun kann man das bedauern – ich neige auch dazu, Photographie noch mit Ph zu schreiben – es ist aber letztlich etwas, was ausser ein paar Sprachinteressierten kaum jemanden hinter dem Ofen hervorholen mag.

 

Eine ähnliche Debatte rund um Political Correctness ist jene Empörung über Auswüchse an amerikanischen Universitäten. Nun mag durchaus sein, dass in Berkeley ein Teil der Studierendenschaft in Sachen Sensibilität, Umgang mit Minderheiten und Redefreiheit übertreibt. Möglicherweise ist das auch in Zürich so, ich weiss es nicht, ich war schon lange nicht mehr an der Universität. Es mag auch sein – ich beobachte es auch auf Twitter – dass gewisse Diskussionen nicht schaurig fruchtbar sind, weil gewisse Meinungen vorschnell abgetan werden. Nun ist aber ein grosser Teil der Menschheit sowohl in der Schweiz wie auch in den USA weder an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät noch auf Twitter. Ich frage mich daher, warum dann über dieses Thema dermassen erbittert gestritten wird, gerade auch von vielen, die sich selber als links oder linksliberal identifizieren. Das liegt wohl auch daran, dass viele – ungeachtet von historischen und gesellschaftlichen Kontext – Debatten und Diskurse aus den USA einfach importieren und sich keine Gedanken darüber machen, ob sie hier auch wirklich einer realen Problemlage entsprechen. Die USA haben durch Sklaverei und Bürgerkrieg eine sehr belastete Geschichte, die sich nicht mit derjenigen der Schweiz vergleichen lässt, auch wenn es hierzulande viele Rassistinnen und Rassisten gab und gibt. Das gleiche für Verhaltensregeln auf dem Universitätscampus, die der relativ hohe Rate von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen an US-Universitäten geschuldet sind. Das lässt sich mit der Situation hierzulande nicht vergleichen, weil hier Studierende in der Regel nicht auf dem Universitätscampus wohnen. Was aber nicht heisst, dass Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe in der Schweiz kein Thema wären. Dann soll man aber bitte darüber diskutieren.

 

Die Frage um Identitätspolitik, um Haupt- und Nebenwiderspruch, um Universalismus versus Essentialismus, über all das wurde und wird in der Linken und im Feminismus spätestens seit den 1968ern immer wieder erbittert gestritten. Und immer, wenn man denkt, die Debatte sei nun überwunden, scheint sie wieder aufzutauchen, gerade auch, weil man von rechts diese Uneinigkeit gerne schürt. Diese Debatten nerven nicht nur, sie sind auch selten konstruktiv. Lasst uns doch alle – mich inklusive – Twitter und die Feuilletons verlassen und wieder ein wenig mit den Leuten reden. Die treibt nämlich anderes um, so hoffe ich jedenfalls.

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